BESCHREIBUNG DES ABENDMAHLSAALES; ABSCHIED VON DER MUTTER VOR DEM LETZTEN ABENDMAHL

nach Maria Valtorta

Ich sehe den Abendmahlsaal, in dem das Passahmahl gehalten werden soll. Ich sehe ihn sehr genau. Ich könnte alle Risse in den Wänden und die Sprünge im Boden zählen. Es ist ein nicht ganz quadratischer, aber auch nicht ganz rechteckiger Saal. Es besteht ein Unterschied von höchstens etwa einem Meter oder etwas mehr zwischen der Längs- und der Querseite.

Die Decke ist niedrig. Vielleicht sieht es auch wegen seiner Größe so aus, der die Höhe nicht entspricht. Die Decke ist leicht gewölbt, so dass die beiden kürzeren Seiten nicht im rechten Winkel zur Decke enden, sondern in einer Rundung.

An diesen beiden kürzeren Seiten sind zwei breite, niedrige, einander gegenüberliegende Fenster. Ich kann nicht sehen, ob sie auf einen Hof oder auf eine Straße schauen, denn zu dieser Stunde sind die Läden geschlossen. Ich habe gesagt: Läden. Ich weiß nicht, ob diese Bezeichnung richtig ist. Es sind Bretter, die durch eine darübergelegte Eisenstange befestigt sind. Der Fußboden besteht aus großen viereckigen Terrakotta-Ziegeln, die im Lauf der Zeit matt geworden sind. Von der Mitte der Decke hängt eine mehrarmige Öllampe. Eine der beiden längeren Wände ist ohne Öffnung. In der anderen ist eine kleine Tür, ganz in der Ecke, zu der man sechs Stufen ohne Geländer hinaufsteigt. Sie enden in einer kleinen Plattform von einem Quadratmeter Größe, auf der sich an der Wand eine weitere Stufe in gleicher Höhe mit der Tür befindet. Ich weiß nicht, ob ich das richtig erklärt habe.

Die Wände sind einfach weiß gestrichen, ohne Verzierungen oder Muster. In der Mitte des Saales, parallel zu den längeren Wänden, steht ein großer, rechteckiger, im Verhältnis zu seiner Breite sehr langer Tisch aus einfachstem Holz. An den längeren Wänden stehen die Sitze, an den kürzeren Wänden befindet sich auf einer Seite unter einem Fenster eine Art Truhe, und darauf Schüsseln und Krüge, und unter dem anderen Fenster eine niedrige, lange Anrichte, auf der noch nichts steht.

Das ist die Beschreibung des Saales, in dem das Ostermahl gehalten werden wird.

Den ganzen Tag sehe ich schon alles so genau, dass ich sogar die Stufen gezählt und alle

Einzelheiten betrachtet habe. Nun, da die Nacht hereinbricht, läßt mich mein Jesus auch alles übrige sehen.

Ich sehe, dass man von dem Saal über die sechs Stufen in einen dunklen Gang gelangt, der links durch eine breite, niedrige und sehr massive, mit Eisenbeschlägen versehene Tür auf die Straße führt. Gegenüber dem Türchen, dass vom Abendmahlsaal in den Gang führt, ist eine weitere Tür, die in einen anderen, nicht so großen Raum führt. Ich würde sagen, dass der Abendmahlsaal teilweise ausgeschachtet wurde aus einem Höhenunterschied zwischen dem Erdboden und dem Rest des Hauses und der Straße. Er liegt zur Hälfte unter dem Niveau des Bodens, wie ein besserer, hergerichteter Keller, immerhin gut einen Meter niedriger als das Gelände, vielleicht um ihn höher und proportionierter erscheinen zu lassen im Vergleich zu seiner Größe.

In dem Raum, den ich nun sehe, ist Maria mit anderen Frauen. Ich erkenne Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, Judas und Simon.

Es scheint, als seien sie soeben in Begleitung von Johannes angekommen, denn sie ziehen die Mäntel aus und legen sie gefaltet auf die da und dort im Saal stehenden Hocker, während sie den Apostel, der wieder geht, grüßen, und auch einen Mann und eine Frau, die bei ihrer Ankunft herbeigeeilt sind und von denen ich glaube, dass sie die Besitzer des Hauses und Jünger oder zumindest dem Nazarener wohlgesinnt sind. Denn sie bemühen sich respektvoll und doch vertraulich um Maria.

Diese ist in Dunkelblau gekleidet, ein sehr dunkles Indigo. Auf dem Kopf hat sie einen weißen Schleier, den man erst sieht, als sie den Mantel ablegt, der auch ihr Haupt bedeckt. Ihr Gesicht ist sehr mager geworden. Sie scheint gealtert und sehr traurig, obgleich sie sanft lächelt. Sie ist sehr bleich. Auch die Bewegungen sind müde und unsicher, wie die eines in Gedanken versunkenen Menschen.

Durch die halbgeöffnete Tür sehe ich den Besitzer des Hauses, der hin- und hergeht im Gang und im Abendmahlsaal, diesen hell erleuchtet und alle Arme des Leuchters anzündet. Dann geht er an die Tür zur Straße und öffnet sie. Jesus und die Apostel kommen herein. Ich sehe, dass es Abend ist, denn die Schatten der Nacht sinken schon hernieder in der engen Gasse zwischen den hohen Häusern. Alle Apostel sind bei ihm.

Jesus grüßt den Eigentümer mit seinem üblichen Gruß: «Der Friede sei mit diesem Haus», und während die Apostel in den Abendmahlsaal hinuntergehen, betritt er den Raum, in dem sich Maria befindet.

Die frommen Frauen grüßen mit tiefer Ehrerbietung, gehen hinaus und schließen die Tür, um Mutter und Sohn allein zu lassen.

Jesus umarmt seine Mutter und küßt sie auf die Stirn. Maria küßt zuerst die Hand ihres Sohnes und dann seine rechte Wange. Jesus fordert Maria auf, sich zu setzen und setzt sich dann neben sie auf einen Hocker. Er fordert sie auf, sich zu setzen und hält dabei ihre Hand; und er läßt sie auch nicht los, als Maria sich gesetzt hat.

Auch Jesus ist gedankenverloren, traurig und nachdenklich, obwohl er sich bemüht zu lächeln. Maria beobachtet ihn angstvoll. Arme Mama, die durch die Gnade Gottes und durch die Liebe die Bedeutung dieser Stunde erfaßt. Ihr Gesicht verkrampft sich vor Schmerz, und ihre Augen weiten sich in einer inneren angstvollen Schau. Aber sie macht keine Szene. Sie ist majestätisch wie ihr Sohn. Er spricht zu ihr. Er grüßt sie und empfiehlt sich ihrem Gebet.

«Mama, ich bin gekommen, um Kraft und Trost bei dir zu holen. Ich bin wie ein kleines Kind, Mama, dass das Herz der Mutter für seinen Schmerz braucht und den Schoß der Mutter, um Kraft zu schöpfen. Ich bin in dieser Stunde wieder dein kleiner Jesus von einst. Ich bin nicht der Meister, Mama. Ich bin nur dein Sohn, wie in Nazareth, als ich noch klein war, wie in Nazareth vor dem Ende des verborgenen Lebens. Ich habe nur dich. Die Menschen sind in diesem Augenblick keine Freunde deines Jesus und nicht treu. Sie haben nicht einmal den Mut zum Guten. Nur die Bösen sind ausdauernd und stark in ihren bösen Werken. Aber du bist mir treu und bist in dieser Stunde meine Stärke, Mama. Hilf mir mit deiner Liebe und deinem Gebet. Von all denen, die mich mehr oder weniger lieben, weißt nur du in dieser Stunde zu beten. Zu beten und zu verstehen. Die anderen feiern und sind ganz von festlichen Gedanken oder verbrecherischen Plänen erfüllt, während ich aus so vielen Gründen leide. Viele Dinge werden nach dieser Stunde sterben. Unter anderem der schwache Mensch in ihnen. Dann werden sie meiner würdig sein, alle, bis auf den, der verloren ist und den keine Macht wenigstens zur Reue zurückzuführen vermag. Aber jetzt sind sie noch schwerfällige Menschen, die nicht fühlen, dass ich sterbe, während sie jubeln und glauben, dass mein Triumph näher denn je bevorsteht. Die Hosanna von vor wenigen Tagen haben sie trunken gemacht. Mama, für diese Stunde bin ich gekommen, und aus der Sicht des Übernatürlichen gehe ich ihr freudig entgegen. Aber mein Inneres fürchtet sie auch, denn dieser Kelch heißt: Verrat, Verleugnung, Gewalt, Lästerung und Verlassenheit. Steh mir bei, Mama. Wie damals, als dein Gebet den Heiligen Geist auf dich herabgerufen hat und du dadurch der Welt den von den Völkern Erwarteten geschenkt hast. Ziehe nun auf deinen Sohn die Kraft herab, die mir hilft, dass Werk zu vollbringen, um dessentwillen ich gekommen bin. Mama, leb wohl. Segne mich, Mama; auch anstelle des Vaters. Und verzeihe allen. Wir wollen miteinander verzeihen. Schon jetzt wollen wir unseren Peinigern verzeihen.»

Jesus ist, während er gesprochen hat, zu Füßen seiner Mutter auf die Knie gesunken, schaut sie an und umarmt sie.

Maria weint lautlos, dass Antlitz leicht erhoben in einem stillen Gebet zu Gott. Die Tränen rinnen über die bleichen Wangen und fallen in ihren Schoß und auf das Haupt Jesu, dass an ihrem Herzen ruht. Maria legt ihre Hand auf das Haupt Jesu, wie um es zu segnen, und beugt sich dann hinab, um sein Haar zu küssen. Sie streichelt sein Haar, seine Schultern und seine Arme, nimmt dann sein Antlitz in die Hände, wendet es zu sich und drückt es an ihr Herz. Sie küßt ihn nochmals unter Tränen auf die Stirn, die Wangen und die schmerzerfüllten Augen und wiegt das arme, müde Haupt, als ob er ein Kind wäre, so wie ich sie in der Höhle das göttliche Kind habe in den Schlaf wiegen sehen. Aber diesmal singt sie nicht. Sie sagt nur mit herzzerreißender Stimme: «Sohn! Sohn! Jesus! Mein Jesus!»

Schließlich erhebt sich Jesus wieder. Er bringt seinen Mantel in Ordnung, bleibt vor Maria stehen, die immer noch weint, und segnet sie seinerseits. Dann geht er zur Tür. Vor dem Hinausgehen sagt er: «Mama, ich werde noch einmal kommen, bevor ich mein Passah feiere. Warte auf mich und bete.» Und er geht hinaus.

DAS PASSAHMAHL

Es beginnt das Leiden des Gründonnerstag.

Die Apostel, zehn von ihnen, sind eifrig mit der Vorbereitung des Abendmahlsaales beschäftigt. Judas ist auf den Tisch geklettert und sieht nach, ob alle Behälter des großen Leuchters mit Öl gefüllt sind. Der Leuchter gleicht einer doppelten Fuchsienblüte, denn fünf Lämpchen in Form von Blütenblättern sitzen rings um einen Stiel. Darunter ist eine zweite Reihe, ein Krönchen aus kleinen Flammen, und ganz unten schließlich hängen an Ketten drei noch kleinere Lämpchen, die die Staubgefäße der leuchtenden Blume bilden. Dann springt Judas mit einem Satz herunter und hilft Andreas, dass Geschirr künstlerisch auf dem Tisch zu verteilen, nachdem sie zuvor eine kostbare Tischdecke ausgebreitet haben. Ich höre Andreas sagen: «Was für eine herrliche Leinwand.»

Und Iskariot: «Eine der besten des Lazarus. Martha wollte sie unbedingt bringen.»

«Und diese Kelche, und diese Amphoren!» bemerkt Thomas, der den Wein in die kostbaren Krüge geschüttet hat und sie nun betrachtet, sich in den schlanken Rundungen spiegelt und die ziselierten Griffe mit Kennerblick liebkost.

«Wer weiß, wieviel sie wert sind», bemerkt Judas Iskariot.

«Sie sind gehämmert. Mein Vater wäre begeistert. Silber und Gold in Folien lassen sich leicht biegen, wenn sie heiß sind. Aber wenn man sie so verarbeitet... In einem Augenblick kann man alles zerstören. Ein ungeschickter Schlag genügt. Da braucht es Kraft und Gewandtheit zugleich. Siehst du die Griffe? Herausgearbeitet. Nicht angelötet. Etwas für Reiche... Von der groben Vorarbeit und dem Feilen ist keine Spur mehr zu sehen. Ich weiß nicht, ob du mich verstehst.»

«Und ob ich dich verstehe! Es ist wie bei einem Bildhauer.»

«Genau so.»

Alle bewundern die Amphore. Dann kehren sie zu ihrer Arbeit zurück. Die einen stellen die Stühle auf, die anderen bereiten die Anrichten vor.

Petrus und Simon kommen gleichzeitig herein.

«Oh, da seid ihr endlich! Wo wart ihr denn schon wieder? Nachdem wir mit dem Meister hier angekommen sind, seid ihr noch einmal verschwunden», sagt Iskariot.

«Noch eine Obliegenheit vor dem Mahl», antwortet Simon kurz.

«Hast du Kummer?»

«Ich glaube, dass wir bei dem, was wir in diesen Tagen gehört haben, und aus dem Mund, der nie lügt, allen Grund dazu haben.»

«Und bei dem Gestank von... Petrus, reiß dich zusammen», murmelt Petrus zwischen den Zähnen.

«Auch du...! Du scheinst mir seit einigen Tagen von Sinnen zu sein. Du hast das Gesicht eines Feldhasen, der hinter sich den Schakal spürt», antwortet Judas Iskariot.

«Und du siehst aus wie ein scheuer Fuchs. Auch du bist seit einigen Tagen nicht besonders schön. Du schaust so eigenartig drein. Du schielst direkt... Wen erwartest du oder wen hoffst du zu sehen? Du scheinst selbstsicher, willst selbstsicher erscheinen, aber du gleichst einem, der Angst hat», entgegnet Petrus.

«Oh, was die Angst betrifft: Auch du bist gewiss kein Held!»

«Keiner von uns ist es, Judas. Du trägst den Namen des Makkabäers, aber du bist kein Held. Mein Name bedeutet: „Gott erweist Gnade“ ' aber ich schwöre dir, innerlich zittere ich wie einer, der das Unglück mit sich herumträgt und der vor allem bei Gott in Ungnade gefallen ist. Simon des Jonas, der den Namen „der Fels“ erhalten hat, ist nun weich geworden wie Wachs über dem Feuer. Und sein Wille reicht nicht aus, dass er sich wieder faßt. Und wer hat ihn je ängstlich gesehen beim schlimmsten Sturm? Matthäus, Bartholomäus und Philippus gleichen Schlafwandlern. Mein Bruder und Andreas seufzen nur noch. Schau dir die beiden Vettern an, sie leiden nicht nur aus Liebe zum Meister, sondern auch als Verwandte. Sie gleichen schon alten Männern. Thomas hat seinen ganzen Frohsinn verloren. Simon scheint wieder der Aussätzige von vor drei Jahren zu sein, so sehr hat ihn der Schmerz angegriffen, ich würde sagen, ausgehöhlt, entmutigt», antwortet ihm Johannes.

«Ja, er hat uns alle angesteckt mit seiner Melancholie», bemerkt Iskariot.

«Mein Vetter Jesus, mein und euer Meister und Herr, ist und ist auch wieder nicht melancholisch. Wenn du damit meinst, dass er traurig ist über den allzu großen Schmerz, den ihm ganz Israel zufügt und den wir sehen, und über den anderen verborgenen Schmerz, den nur er kennt, dann sage ich dir: „Du hast recht.“ Aber wenn du mit diesem Wort sagen willst, dass er verrückt ist, dann verbiete ich dir das», sagt Jakobus des Alphäus.

«Ist eine melancholische fixe Idee nicht Verrücktheit? Ich habe auch die weltlichen Wissenschaften studiert und kenne mich aus. Er hat zu viel gegeben. Nun ist sein Geist müde.»

«Das heißt wohl, dass er schwachsinnig geworden ist, nicht wahr?» fragt der andere Vetter Judas anscheinend ganz ruhig.

«Genau das! Dein Vater, der Gerechte seligen Angedenkens, dem du so sehr gleichst in deiner Gerechtigkeit und Weisheit, hat es richtig gesehen. Jesus – und das ist das traurige Schicksal vornehmer, aber zu alter und auch geistig altersschwacher Familien – hat immer zu dieser Krankheit geneigt. Zuerst hat sie sich nur wenig bemerkbar gemacht, dann immer stärker. Du hast ja gesehen, wie er Pharisäer und Schriftgelehrte, Sadduzäer und Herodianer angegriffen hat. Er macht sich selbst das Leben schwer und wirft sich Prügel in den Weg. Er selbst tut es. Wir... wir haben ihn so sehr geliebt, dass uns die Liebe blind gemacht hat. Aber die, die ihn nicht so abgöttisch liebten: dein Vater, dein Bruder Joseph und vor allen anderen Simon, haben richtig gesehen... Die Augen hätten uns aufgehen sollen bei ihren Worten. Dagegen haben wir uns vom sanften Zauber eines Kranken verführen lassen. Und nun... Au!»

Judas Thaddäus, der so groß ist wie Iskariot, ihm genau gegenübersteht und ihm anscheinend ruhig zuhört, fährt plötzlich auf und schleudert Judas mit einer gewaltigen Ohrfeige rücklings auf einen der Sitze. Dann beugt er sich über den Feigling, der sich nicht wehrt, da er vielleicht fürchtet, Thaddäus könnte sein Verbrechen kennen, und zischt ihm ins Gesicht: «Das ist für den Schwachsinn, du Schlange! Nur weil Passah ist und er nebenan, schlage ich dich nicht in Stücke! Aber merke es dir, merke es dir gut! Wenn ihm etwas zustößt und er nicht mehr da ist, um mich in Schach zu halten, dann kann dir niemand mehr helfen. Es ist, als hätte man dir schon die Schlinge um den Hals gelegt, und meine ehrlichen und starken Handwerkerhände eines Galiläers und Abkömmlings des Siegers über Goliath werden sie zuziehen! Steh auf, du schamloser Feigling! Und richte dich danach!»

Judas steht auf, ganz grün im Gesicht, aber ohne die geringste Reaktion. Und was mich am meisten verwundert, keiner protestiert gegen das ungewohnte Benehmen des Thaddäus. Im Gegenteil... Es ist offensichtlich, dass alle damit einverstanden sind.

Kaum ist die Ruhe wiederhergestellt, kommt Jesus herein. Er erscheint auf der Schwelle der kleinen Tür, die für ihn fast nicht hoch genug ist, betritt die kleine Plattform, breitet die Arme aus und sagt mit seinem sanften, traurigen Lächeln: «Der Friede sei mit euch!» Seine Stimme ist müde, wie die eines Menschen, der seelisch und körperlich leidet.

Er steigt die sechs Stufen hinunter und streichelt das blonde Haupt des Johannes, der ihm entgegengeeilt ist. Er lächelt, als ob er von nichts wüßte, seinem Vetter Judas zu und sagt zu dem anderen Vetter: «Deine Mutter läßt dich bitten, sanftmütig mit Joseph zu sein. Er hat die Frauen nach mir und nach dir gefragt. Es tut mir leid, dass ich ihn nicht begrüßen konnte.»

«Das kannst du morgen noch tun.»

«Morgen? ... Aber es wird noch Zeit sein, ihn zu sehen... Oh, Petrus! Endlich können wir etwas beisammen sein. Seit gestern kommst du mir wie ein Irrlicht vor. Ich sehe dich, dann sehe ich dich wieder nicht. Heute kann ich fast sagen, dich verloren zu haben. Auch dich, Simon.»

«Unsere mehr weißen als schwarzen Haare können dir die Sicherheit geben, dass wir uns nicht aus fleischlichem Hunger entfernt haben», sagt Simon ernst.

«Was das betrifft... kann man diesen Hunger in jedem Alter haben...

Die Alten sind oft schlimmer als die Jungen ...» sagt Iskariot in beleidigendem Ton.

Simon schaut ihn an und will etwas entgegnen. Aber auch Jesus schaut ihn an und sagt: «Hast du Zahnschmerzen? Deine rechte Wange ist rot und geschwollen.»

«Ja, ich habe Schmerzen. Aber es ist nicht der Rede wert.»

Die anderen sagen nichts, und die Sache ist beendet.

«Habt ihr alles erledigt, was zu tun war? Du, Matthäus? Und du, Andreas? Und du, Judas, hast du an das Opfer für den Tempel gedacht?»

Sowohl die beiden ersteren als auch Iskariot antworten: «Wir haben alles getan, was du uns für heute aufgetragen hast. Sei beruhigt.»

«Ich habe die ersten Früchte des Lazarus zu Johanna des Chuza gebracht. Für die Kinder. Sie haben mir gesagt: „Aber die Äpfel damals waren besser.“ Sicher, sie hatten den Geschmack des Hungers. Und es waren deine Äpfel!» sagt Johannes lächelnd und verträumt.

Auch Jesus lächelt bei der Erinnerung...

«Ich habe Nikodemus und Joseph gesehen», sagt Thomas.

«Du hast sie gesehen? Du hast mit ihnen gesprochen?» fragt Iskariot mit übertriebenem Interesse.

«Ja. Was ist daran sonderbar? Joseph ist ein guter Kunde meines Vaters.»

«Du hast das vorher nicht gesagt... Deshalb war ich erstaunt...!» Judas versucht die merkliche Angst zu vertuschen, die ihm die Begegnung von Joseph und Nikodemus mit Thomas eingejagt hat.

«Es wundert mich, dass sie nicht hergekommen sind, um dir zu huldigen. Sie nicht, Chuza nicht, Manaen nicht... Keiner von...»

Doch Iskariot unterbricht Bartholomäus mit einem falschen Lachen und sagt: «Das Krokodil zieht sich rechtzeitig in seinen Schlupfwinkel zurück.»

«Was willst du damit sagen? Worauf spielst du an?» fragt Simon so aggressiv wie nie zuvor.

«Friede! Friede! Was habt ihr denn? Es ist der Abend des Passahfestes. Noch nie haben wir das Lamm in einem so würdigen Rahmen verzehrt. Nehmen wir also das Abendmahl im Geist des Friedens ein. Ich sehe, dass ich euch mit meinen Unterweisungen der letzten Abende sehr beunruhigt habe. Aber wie ihr seht, habe ich sie beendet. Nun werde ich euch nicht mehr beunruhigen. Es ist zwar noch nicht alles gesagt, was sich auf mich bezieht. Nur das Wesentliche. Das übrige werdet ihr später verstehen. Es wird euch gesagt werden... Ja, es wird einer kommen, der es euch sagt. Johannes, geh mit Judas und einigen anderen und hole die Becken für die Reinigung. Dann wollen wir uns zu Tisch setzen.» Jesus ist von einer ergreifenden Sanftmut.

Johannes, Andreas, Judas Thaddäus und Jakobus bringen das große Becken, gießen Wasser hinein und reichen Jesus und den Gefährten die Handtücher. Danach machen sie es umgekehrt und stellen dann das metallene Becken in eine Ecke.

«Und nun jeder an seinen Platz. Ich hier, Johannes zu meiner Rechten, auf der anderen Seite mein getreuer Jakobus – die beiden ersten Jünger. Nach Johannes mein starker Fels, und nach Jakobus jener, der der Luft gleicht. Man bemerkt ihn nicht, aber er ist immer da und spendet Trost: Andreas. Neben ihm mein Vetter Jakobus. Du bist nicht betrübt, mein lieber Bruder, wenn ich die ersten Plätze den ersten Jüngern gebe? Du bist der Neffe des Gerechten, dessen Geist über mir schwebt und der mir in dieser Stunde näher ist denn je. Sei im Frieden, du Vater des schwachen Kindes, du Eiche, in deren Schatten Mutter und Sohn Erquickung fanden! Sei im Frieden...! Nach Petrus, Simon... Simon, komm einen Augenblick hierher. Ich will dein treues Gesicht betrachten. Später werde ich dich nur schlecht sehen können, denn andere werden mir dein ehrliches Gesicht verdecken. Danke, Simon, für alles», und Jesus küßt ihn.

Als er ihn losläßt, geht Simon an seinen Platz und schlägt einen Augenblick, von Trauer überwältigt, die Hände vors Gesicht.

«Simon gegenüber, mein Bartholomäus. Zwei Rechtschaffene und zwei Weise, die sich ineinander spiegeln. Sie passen gut zusammen. Daneben du, mein Bruder Judas. So kann ich dich sehen... und glaube, in Nazareth zu sein... als die Feste uns alle an einem Tisch vereinten... Auch zu Kana... Erinnerst du dich? Wir waren beisammen. Ein Fest... ein Hochzeitsfest... das erste Wunder... das in Wein verwandelte Wasser... Auch heute ein Fest... Und auch heute wird es ein Wunder geben... Der Wein wird sich verwandeln... und wird zu...»

Jesus versinkt in Gedanken. Mit seinem gebeugten Haupt scheint er allein zu sein in seiner verborgenen Welt. Die anderen sehen ihn an und sagen nichts.

Dann erhebt er das Haupt wieder und sieht Judas Iskariot fest an und sagt: «Du wirst mir gegenüber sitzen.»

«So sehr liebst du mich? Mehr als Simon, da du mich immer vor Augen haben willst?»

«So sehr, du hast es gesagt.»

«Warum, Meister?»

«Weil du derjenige bist, der mehr als alle anderen zu dieser Stunde beigetragen hat.»

Judas schaut den Meister und die Gefährten mit Blicken sehr verschiedener Art an. Den Meister mit etwas ironischem Mitleid, die anderen mit sieghafter Miene.

«Und neben dir auf der einen Seite Matthäus und auf der anderen Thomas.»

«Also dann Matthäus zu meiner Linken und Thomas zu meiner Rechten.»

«Wie du willst, wie du willst», sagt Matthäus. «Es genügt mir, wenn ich meinen Erlöser vor mir habe.»

«Zuletzt Philippus. So, seht ihr? Wer nicht die Ehre hat, an meiner Seite zu sitzen, der hat die Ehre, mir gegenüber zu sitzen.»

Jesus, der sehr gerade an seinem Platz sitzt, gießt Wein in den großen Kelch, der vor ihm steht. Alle haben hohe Kelche vor sich, aber der Kelch Jesu ist sehr viel größer als die übrigen: es muss wohl der rituelle Kelch sein. Er erhebt den Kelch, opfert ihn und stellt ihn wieder auf den Tisch.

Alle fragen nun miteinander in psalmodierendem Ton: «Warum diese Zeremonie?» Eine formelle Frage, die zum Ritus gehört, versteht sich.

Worauf Jesus als Familienoberhaupt antwortet: «Dieser Tag erinnert uns an die Befreiung aus Ägypten. Jahwe sei gepriesen, der die Früchte des Weinstocks geschaffen hat.» Er trinkt einen Schluck von diesem aufgeopferten Wein und reicht den Kelch den anderen. Dann opfert er das Brot, bricht es und verteilt es, ebenso die Kräuter, die er in eine rötliche Sauce taucht, die sich in vier Schüsselchen befindet.

Nach Beendigung dieses Teils des Mahles singen alle im Chor Psalmen. Dann bringt man von der Anrichte die große Platte mit dem gebratenen Lamm und stellt sie vor Jesus.

Petrus, der... sozusagen die Hauptrolle im Chor spielt, fragt nun: «Warum dieses Lamm?»

«Zum Andenken daran, dass Israel durch das geschlachtete Lamm gerettet wurde. Kein Erstgeborener wurde getötet, wo das Blut an Türpfosten und Türsturz glänzte. Und danach, als ganz Ägypten, vom Palast bis in die elendste Hütte, die tote Erstgeburt beweinte, zogen die Hebräer, geführt von Moses, zum Land der Freiheit und der Verheißung. Die Lenden gegürtet, Schuhe an den Füßen und den Wanderstab in den Händen, machte sich das Volk Abrahams unter Hymnen der Freude auf den Weg.»

Alle erheben sich nun und stimmen an: «Als Israel zog aus Ägypten, Jakobs Stamm aus dem fremden Volk: Zum Heiligtum ward Juda» usw. usw.

Nun zerlegt Jesus das Lamm, füllt nochmals den Kelch und reicht ihn, nachdem er getrunken hat, weiter. Sie singen jetzt: «Ihr Diener des Herrn, lobsinget dem Namen des Herrn! Der Name des Herrn sei gepriesen, jetzt und in Ewigkeit. Vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang: der Name des Herrn sei gepriesen» usw.

Jesus teilt aus und achtet darauf, dass jeder seinen Teil erhält; wie ein Familienvater unter seinen Kindern, die er alle liebt. Er ist feierlich, ein wenig traurig, während er sagt: «Sehnlichst habe ich danach verlangt, dieses Ostermahl mit euch zu essen. Es war mein größter Wunsch seit aller Ewigkeit, da ich „der Erlöser“ war. Ich wußte, dass diese Stunde der anderen vorausgehen würde, und die Freude, mich hinzugeben, bedeutete schon im voraus Linderung meiner Leiden... Sehnlichst habe ich danach verlangt, mit euch dieses Ostermahl zu essen, denn nie mehr werde ich von der Frucht des Rebstocks kosten, bis das Reich Gottes gekommen ist. Dann werde ich mich erneut mit den Auserwählten zum Mahl des Lammes setzen, bei der Hochzeit der Lebenden mit dem Lebenden. Aber daran werden nur teilnehmen, die demütig und reinen Herzens gewesen sind, wie ich es bin.»

«Meister, vor kurzem hast du gesagt, wer nicht die Ehre hat, an deiner Seite zu sitzen, der hat die Ehre, dir gegenüber zu sitzen. Wie können wir also wissen, wer der erste unter uns ist?» fragt Bartholomäus.

«Alle und keiner. Einmal... kamen wir müde zurück... und waren angewidert vom Haß der Pharisäer. Aber ihr wart nicht zu müde, um darüber zu streiten, wer der größte unter euch sei... Ein Kind kam zu mir... ein kleiner Freund... und seine Unschuld besänftigte meinen Widerwillen gegen so vieles. Nicht zuletzt gegen eure menschliche Starrköpfigkeit. Wo bist du nun, kleiner Benjamin, mit deiner weisen Antwort, die dir vom Himmel eingegeben wurde, weil du ein Engel warst und der Geist zu dir sprach 9 Ich habe euch damals gesagt: „Wer der erste sein will, soll der letzte Diener aller sein.“ Und ich habe euch das weise Kind als Beispiel vor Augen gestellt. Nun sage ich euch: „Die Könige der Völker herrschen über sie. Und die unterdrückten Völker jubeln ihnen zu, obwohl sie sie hassen. Und die Könige lassen sich 'Wohltäter' und 'Vater des Vaterlandes' nennen, aber der Haß schwelt unter der falschen Ehrerbietung.“ Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern der Größte unter euch werde wie der Geringste, und der Führer wie der Diener. Denn wer ist größer? Der zu Tische sitzt oder der bedient? Der zu Tische sitzt. Und doch diene ich euch. Und bald werde ich euch noch mehr dienen. Ihr seid die, die mit mir ausgeharrt haben in meinen Prüfungen. Und ich bestimme euch einen Platz in meinem Reich, so wie ich darin König sein werde, wie es mir mein Vater bestimmt hat. Ihr sollt essen und trinken an meinem ewigen Tisch und auf Thronen sitzen, zu richten die zwölf Stämme Israels. Ihr habt mit mir ausgeharrt in meinen Prüfungen... Nur dies macht euch groß in den Augen des Vaters.»

«Und die noch kommen werden? Werden sie keinen Platz im Reich erhalten? Nur wir allein?»

«Oh, wie viele Fürsten wird es in meinem Haus geben! Alle, die in den Prüfungen des Lebens Christus treu geblieben sind, werden Fürsten in meinem Reich sein. Denn alle, die bis zum Ende im Martyrium des irdischen Lebens ausgeharrt haben, werden euch gleich sein, die ihr mit mir in meinen Prüfungen ausgeharrt habt. Ich identifiziere mich mit meinen Gläubigen. Der Schmerz, den ich für euch und für alle Menschen auf mich nehme, ist eine Lehre für die besonders Erwählten. Wer mir im Leid treu ist, wird wie ihr, meine Erwählten, selig werden und euch gleich.»

«Wir haben bis zum Ende ausgeharrt.»

«Glaubst du, Petrus? Ich sage dir, die Stunde der Prüfung steht noch bevor. Simon, Simon des Jonas, siehe, Satan hat verlangt, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebetet, auf dass dein Glaube nicht wanke. Du aber, stärke deine Brüder nach deiner Umkehr.»

«Ich weiß, dass ich ein Sünder bin. Aber ich werde dir bis zum Tod treu bleiben. Diese Sünde habe ich nicht begangen. Nie werde ich sie begehen.»

«Sei nicht überheblich, mein Petrus. Diese Stunde wird viele Dinge ändern, die zuvor so waren und nun anders sein werden. Wie viele! ... Sie bringen neue Notwendigkeiten und ziehen sie nach sich. Ihr wißt es. Ich habe euch immer gesagt, auch wenn wir durch einsame Gegenden gingen, wo es Räuber gab: „Fürchtet euch nicht. Es wird euch nichts Böses geschehen, denn die Engel des Herrn sind bei uns. Bekümmert euch um nichts.“ Erinnert ihr euch noch daran, als ich zu euch sagte: „Sorgt euch nicht, was ihr essen oder womit ihr euch bekleiden sollt. Der Vater kennt unsere Bedürfnisse?“ Ich habe euch auch gesagt: „Der Mensch ist viel mehr als ein Sperling oder eine Blume, die heute Gras und morgen Heu ist. Und doch sorgt der Vater auch für die Blume und den Vogel. Könnt ihr also daran zweifeln, dass er für euch sorgt?“ Ich habe gesagt: „Gebt allen, die euch um etwas bitten, und dem, der euch schlägt, haltet auch die andere Wange hin.“ Ich habe gesagt: „Nehmt weder Tasche noch Stab.“ Denn ich habe euch Liebe und Vertrauen gelehrt. Aber nun... Nun ist eine andere Zeit. Nun frage ich euch: „Hat euch bis jetzt jemals etwas gefehlt? Seid ihr je beleidigt worden?“»

«Nichts, Meister. Und nur du bist beleidigt worden.»

«Seht ihr also, dass mein Wort Wahrheit ist? Aber nun hat der Herr alle seine Engel zurückgerufen. Nun ist die Stunde der Dämonen... Die Engel des Herrn bedecken ihre Augen mit ihren goldenen Flügeln. Sie verhüllen sich und bedauern, dass ihre Flügel nicht die Farbe der Trauer haben, denn dies ist die Stunde der Trauer, der grausamen Trauer, des Sakrilegs... Heute abend sind keine Engel auf der Erde. Sie sind am Thron Gottes, um mit ihren Gesängen die Flüche der gottesmörderischen Welt und die Klagen der Unschuldigen zu übertönen. Wir sind allein... Ich und ihr: allein. Und die Dämonen sind die Herren der Stunde. Daher werden wir das Äußere und die Maßstäbe der armen Menschen, die nicht lieben und mißtrauen, annehmen. Wer nun eine Tasche hat, der nehme noch einen Sack, und wer kein Schwert hat, verkaufe seinen Mantel und kaufe eines. Denn auch dies steht in der Schrift über mich geschrieben und muss sich erfüllen: „Unter die Übeltäter ward er gezählt.“ Wahrlich, ich sage euch, alles was mir bestimmt ist, kommt jetzt zu Ende.»

Simon, der sich erhoben hat und zu der Truhe gegangen ist, auf der er seinen prächtigen Mantel abgelegt hat – denn heute abend tragen sie alle ihre besten Kleider und auch Dolche, verzierte, sehr kurze Dolche, eher Messer als Dolche, an den schönen Gürteln – nimmt zwei Schwerter, zwei wirkliche, lange, leicht gekrümmte Schwerter, und bringt sie Jesus: «Ich und Petrus, wir haben uns heute abend bewaffnet. Wir haben dies hier. Aber die anderen haben nur ihre kurzen Dolche.»

Jesus nimmt die Schwerter und betrachtet sie, zieht eines aus der Scheide und prüft die Klinge mit dem Fingernagel. Es ist ein sonderbarer Anblick und ein noch sonderbarerer Eindruck, diese grausame Waffe in den Händen Jesu zu sehen.

«Wer hat sie euch gegeben?» fragt Iskariot, während Jesus ihn betrachtet und schweigt. Judas scheint auf glühenden Kohlen zu sitzen...

«Wer? Erinnere dich, dass mein Vater vornehm und mächtig war.»

«Aber Petrus ...»

«Nun und? Seit wann muss ich Rechenschaft ablegen über die Geschenke, die ich meinen Freunden machen will?»

Jesus hebt das Haupt, nachdem er die Waffe wieder in die Scheide gesteckt hat. Er gibt sie dem Zeloten zurück.

«Es ist gut. Sie genügen. Du hast gut daran getan, sie mitzubringen. Aber nun, bevor wir den dritten Kelch trinken, wartet einen Augenblick. Ich habe euch gesagt, dass der Größte dem Geringsten gleich ist, und dass ich an diesem Tisch das Gewand des Dieners trage und euch noch mehr dienen werde. Bisher habe ich euch Speise gegeben und damit dem Leib gedient. Nun will ich euch eine Nahrung für die Seele geben. Es ist kein Gericht des alten Ritus. Es gehört zum neuen Ritus. Ich wollte mich taufen lassen, bevor ich der „Meister“ wurde. Um das Wort zu verkünden, genügte diese Taufe. Nun wird das Blut vergossen werden. Und auch für euch ist noch eine Waschung nötig, obwohl ihr euch schon seinerzeit beim Täufer und auch heute im Tempel gereinigt habt. Aber das genügt nicht. Unterbrecht das Mahl. Es gibt etwas Höheres und Notwendigeres als die Speise, die nur den Bauch füllt, auch wenn es eine heilige Speise ist wie das Ostermahl. Und es ist ein reiner Geist, der bereit ist, die Gabe des Himmels zu empfangen, die schon herniedersteigt, um ihren Thron in euch zu errichten und euch das Leben zu geben; um den Reinen das Leben zu geben.»

Jesus steht auf, heißt auch Johannes aufstehen, um besser seinen Platz verlassen zu können, geht zu einer Truhe, zieht das rote Gewand aus und legt es auf den schon zusammengefalteten Mantel, bindet sich ein großes Handtuch um die Lenden und geht dann zu einem leeren und noch unbenutzten Becken. Er gießt Wasser hinein, trägt es in die Mitte des Saales und stellt es auf einen Schemel. Die Apostel schauen verwundert zu.

«Ihr fragt mich nicht, was ich tue?»

«Wir wissen es nicht. Aber ich sage dir, wir sind schon gereinigt», antwortet Petrus.

«Und ich wiederhole dir, dass spielt keine Rolle. Meine Reinigung wird jene, die schon rein sind, noch reiner machen.»

Er kniet nieder, löst Iskariot die Sandalen und wäscht ihm die Füße, einen nach dem anderen. Das ist nicht schwierig, denn die Liegen stehen so, dass die Füße nach außen zeigen. Judas ist erstaunt, sagt aber nichts. Nur als Jesus, bevor er die linke Sandale wieder anlegt und aufsteht, den rechten, schon bekleideten Fuß küssen will, zieht Judas ihn so heftig zurück, dass er mit der Sohle den göttlichen Mund trifft. Er tut es, ohne es zu wollen, und es ist kein starker Stoß. Aber er schmerzt mich sehr. Jesus lächelt und zu dem Apostel, der ihn fragt: «Habe ich dir wehgetan? Das habe ich nicht gewollt... Verzeih!», sagt er: «Nein, Freund, du hast es ohne böse Absicht getan, und das tut nicht weh.» Judas sieht ihn an. Es ist ein unruhiger, ausweichender Blick...

Jesus geht nun zu Thomas, dann zu Philippus... Nun geht er um die Schmalseite des Tisches herum und kommt zu seinem Vetter Jakobus. Er wäscht ihn und küßt ihn dann beim Aufstehen auf die Stirn. Er kommt zu Andreas, der rot vor Scham ist und gegen die Tränen ankämpft. Er wäscht und liebkost ihn wie ein Kind. Dann ist Jakobus des Zebedäus an der Reihe, der nur ständig murmelt: «Oh, Meister! Meister! Meister! So demütigt sich mein höchster Meister!» Johannes hat schon seine Sandalen gelöst, und während Jesus sich bückt, um seine Füße abzutrocknen, küßt Johannes ihn auf den Scheitel. Aber Petrus! ... Es ist nicht leicht, ihn von der Notwendigkeit dieses Ritus zu überzeugen.

«Du mir die Füße waschen? Gar nicht daran zu denken! Solange ich lebe, werde ich dies nie erlauben! Ich bin ein Wurm, und du bist Gott. Jeder an seinem Platz.»

«Was ich jetzt tue, kannst du noch nicht verstehen. Aber später wirst du es verstehen. Laß mich nur gewähren.»

«Alles, was du willst. Meister. Willst du mir den Hals abschneiden, dann tue es. Aber die Füße wäschst du mir nicht.»

«Oh, mein Simon, weißt du nicht, dass du keinen Anteil an meinem Reich haben wirst, wenn ich dich nicht wasche?! Simon, Simon! Du hast dieses Wasser nötig für deine Seele und den weiten Weg, den du gehen musst. Willst du nicht mit mir kommen? Wenn ich dich nicht wasche, kommst du nicht in mein Reich.»

«Oh, mein gepriesener Herr! Dann wasche mich nur ganz! Füße, Hände und Haupt!»

«Wer, wie ihr, ein Bad genommen hat, braucht nur noch die Füße zu waschen. Dann ist er vollkommen rein. Die Füße... Der Mensch geht mit den Füßen durch den Schmutz. Aber das wäre noch wenig, denn ich habe euch bereits gesagt: nicht das, was mit der Nahrung hinein- und herauskommt, verunreinigt, und nicht der Staub der Straße an den Füßen befleckt den Menschen, sondern was in seinem Herzen gärt und reift und dort herauskommt verunreinigt seine Werke und seine Glieder. Die Füße des Menschen mit unreinem Herzen gehen zur Prasserei, zur Unzucht, zu unerlaubten Geschäften, zum Verbrechen... Daher sind es von allen Gliedern des Leibes die Füße, die am meisten der Reinigung bedürfen... zusammen mit den Augen, dem Mund... Oh, Mensch! Mensch! Einst ein vollkommenes Geschöpf! Am ersten Tag. Und dann durch den Verführer so verdorben! Keine Bosheit war in dir, o Mensch, und keine Sünde! ... Und nun? Du bist ganz Bosheit und Sünde, und es ist kein Teil an dir, der nicht sündigt!»

Jesus hat Petrus die Füße gewaschen und geküßt, und der Apostel weint und ergreift mit seinen großen Händen die beiden Hände Jesu, legt sie auf seine Augen und küßt sie dann.

Auch Simon hat seine Sandalen ausgezogen und läßt sich wortlos die Füße waschen. Aber dann, als Jesus zu Bartholomäus gehen will, kniet Simon nieder und küßt seine Füße mit den Worten: «Reinige mich vom Aussatz der Sünde, wie du mich vom Aussatz des Leibes gereinigt hast, damit ich in der Stunde des Gerichtes nicht beschämt werde, mein Erlöser!»

«Fürchte nicht, Simon. Du wirst in die himmlische Stadt eingehen, so rein und weiß wie der Schnee der Berge.»

«Und ich, Herr? Was sagst du deinem alten Bartholomäus? Du hast mich im Schatten des Feigenbaumes gesehen und in meinem Herzen gelesen. Und nun, was siehst du, und wo siehst du mich? Beruhige einen armen Greis, der fürchtet, keine Kraft und Zeit mehr zu haben, um so zu werden, wie du uns haben willst!» Bartholomäus ist zutiefst erschüttert.

«Auch du, fürchte nicht. Ich habe damals gesagt: „Siehe, ein wahrer Israelit, an dem kein Falsch ist.“ Nun sage ich: „Siehe, ein wahrer Christ, der Christi würdig ist.“ Wo ich dich sehe? Auf einem ewigen Thron, mit Purpur bekleidet. Ich werde immer mit dir sein.»

Nun ist Judas Thaddäus an der Reihe. Als er Jesus zu seinen Füßen sieht, kann er sich nicht mehr beherrschen. Er neigt das Haupt auf seinen auf den Tisch gestützten Arm und weint.

«Weine nicht, mein lieber Bruder. Nun gleichst du einem, der die Abtrennung eines Gliedes erleiden muss und glaubt, es nicht ertragen zu können. Aber es wird nur ein kurzer Schmerz sein. Dann... oh, dann wirst du glücklich sein, denn du liebst mich. Du heißt Judas und du bist wie unser großer Judas: ein Riese. Du bist der, der beschützt. Deine Taten sind die eines brüllenden Löwen und Löwenjungen. Du wirst die Gottlosen beschämen, die vor dir zurückweichen werden, und die Ungerechten werden vor dir zuschanden werden. Ich weiß es. Sei stark! Eine ewige Vereinigung wird unsere Verwandtschaft im Himmel noch enger und vollkommener werden lassen.» Jesus küßt ihn, wie den anderen Vetter, auf die Stirn.

«Ich bin ein Sünder, Meister. Mir nicht...»

«Du warst ein Sünder, Matthäus. Nun bist du der Apostel. Du bist eine meiner „Stimmen“. Ich segne dich. Diese Füße, welch weiten Weg sind sie gegangen, vorwärts, zu Gott... Die Seele hat sie geführt, und sie haben jeglichen Weg verlassen, der nicht mein Weg war. Gehe weiter. Weißt du, wo der Weg endet? Am Herzen meines und deines Vaters.»

Jesus ist fertig. Er nimmt das Handtuch ab, wäscht sich in sauberem Wasser die Hände, legt das Oberkleid wieder an, kehrt an seinen Platz zurück, setzt sich und sagt:

«Nun seid ihr rein. Aber nicht alle. Nur die, die den Willen haben, es zu sein.»

Jesus schaut Judas Iskariot fest an, der vorgibt, nichts zu hören, und gerade Matthäus erklärt, wie sein Vater beschloß, ihn nach Jerusalem zu schicken. Ein unnützes Gespräch, mit dem Judas nur bezweckt, sich Haltung zu geben, denn er muss sich sehr unwohl fühlen, trotz aller Frechheit.

Jesus füllt zum dritten Mal den gemeinsamen Kelch. Er trinkt daraus und gibt ihn weiter. Dann stimmt er den Psalm an und die anderen fallen ein: «Ich liebe den Herrn, denn er hörte die Stimme meines Flehens. Er neigte sein Ohr mir zu. Alle Tage meines Lebens rufe ich ihn an. Mich umwanden die Stricke des Todes», usw. Ein Augenblick Pause. Dann fängt Jesus wieder zu singen an: «Ich war voll Vertrauen, auch wenn ich sagte: Gar tief bin ich niedergebeugt. Ich sprach in meiner Bestürzung: Die Menschen alle, sie trügen!» Er schaut Judas fest an. Die heute abend müde Stimme meines Jesus wird kräftiger, als er nun ausruft: «Gar kostbar in den Augen des Herrn ist der Tod seiner Heiligen. Du hast gelöst meine Fessel. Dir will ich weihen das Opfer des Lobes, und anrufen will ich den Namen des Herrn» usw. usw. Nach einer weiteren kurzen Pause fährt er fort: «Lobet den Herrn, ihr Nationen, ihr Völker alle, lobpreiset ihn! Denn mächtig waltet über uns seine Gnade, und seine Wahrheit währet ewiglich.» Noch eine kurze Pause, dann ein langer Lobgesang: «Danket dem Herrn, denn er ist gut und ewig währet sein Erbarmen ...»

Judas Iskariot singt so falsch, dass Thomas ihm zweimal mit seinem mächtigen Bariton den Ton angibt und ihn dabei fest anschaut. Auch die anderen schauen ihn an, denn im allgemeinen singt er immer richtig, und ich habe bemerkt, dass er sich ebenso etwas auf seine Stimme zugute tut wie auf vieles andere. Aber heute abend! Manche Sätze bringen ihn so aus der Fassung, dass er völlig falsch singt, und ebenso einige Blicke Jesu, die diese Sätze noch unterstreichen. Einer davon ist: «Besser, seine Zuflucht nehmen zum Herrn, als zu bauen auf Menschen.» Ein anderer ist: «Gestoßen ward ich, ich sollte fallen; der Herr aber stand mir bei.» Noch ein anderer ist: «Ich werde nicht sterben, ich lebe, und künden will ich die Taten des Herrn.» Und endlich die beiden, bei denen dem Verräter die Stimme gänzlich im Hals steckenbleibt: «Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden» und «Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn.»

Als der Psalm zu Ende ist und Jesus noch einmal Stücke von dem Lamm abschneidet und verteilt, fragt Matthäus Judas Iskariot: «Geht es dir nicht gut?»

«Nein. Laß mich in Ruhe. Kümmere dich nicht um mich.»

Matthäus zuckt die Achseln.

Johannes, der zugehört hat, sagt: «Auch dem Meister geht es nicht gut. Was hast du, mein Jesus? Deine Stimme ist schwach. Wie die eines Kranken oder eines Menschen, der viel geweint hat», und er umarmt ihn und legt sein Haupt an Jesu Brust.

«Er hat nur viel geredet, und ich bin viel gelaufen und habe mich erkältet», sagt Judas nervös.

Ohne darauf einzugehen, sagt Jesus zu Johannes: «Du kennst mich nun... und du weißt, was mich müde macht...»

Das Lamm ist beinahe aufgegessen. Jesus, der nur sehr wenig gegessen und von jedem Kelch nur einen Schluck Wein genommen hat, stattdessen aber viel Wasser trinkt, als ob er Fieber hätte, beginnt nun wieder zu reden: «Ich will, dass ihr meine Geste von zuvor versteht. Ich habe euch gesagt, dass der Erste wie der Letzte ist, und dass ich euch eine Speise geben werde, die nicht für den Leib ist. Eine Speise der Demut habe ich euch gegeben. Für eure Seele. Ihr nennt mich: Meister und Herr. Ihr habt recht, denn ich bin es. Wenn ich euch nun die Füße gewaschen habe, so müßt auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr tut wie ich. Wahrlich, ich sage euch: Der Knecht ist nicht mehr als sein Herr und der Apostel nicht mehr als der, der ihn zum Apostel gemacht hat. Versucht, diese Dinge zu verstehen. Wenn ihr sie versteht und danach handelt, werdet ihr selig sein. Aber nicht alle werdet ihr selig sein. Ich kenne euch. Ich weiß, wen ich erwählt habe. Nicht von euch allen spreche ich. Aber ich sage die Wahrheit. Andererseits muss sich erfüllen, was über mich geschrieben steht: „Der mein Brot ißt, hat seine Ferse wider mich erhoben.“ Alles sage ich euch, ehe es eintritt, damit ihr nicht an mir zweifelt. Wenn alles erfüllt ist, wird euer Glaube, dass ich bin, der ich bin, noch stärker sein. Wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat: den heiligen Vater, der im Himmel ist. Wer einen aufnimmt, den ich sende, der nimmt mich auf. Denn ich bin im Vater, und ihr seid in mir... Aber nun wollen wir den Ritus beenden.»

Er gießt wieder Wein in den großen Kelch. Bevor er aber trinkt und den anderen den Kelch reicht, steht er auf – alle folgen seinem Beispiel -und singt noch einmal einen der Psalmen von zuvor: «Ich war voll Vertrauen, auch wenn ich sagte ...» und dann einen, der endlos zu sein scheint. Er ist schön, aber endlos! Ich glaube ihn als den Psalm 118 zu erkennen, wegen seiner Anfangsworte und seiner Länge. Einen Teil singen sie alle zusammen. Dann singt einer ein Distichon und die anderen ein Stück im Wechsel, und so bis zum Ende. Ich wundere mich nicht, dass sie am Ende Durst haben!

164

Jesus setzt sich. Er streckt sich nicht aus, sondern setzt sich so wie wir und sagt: «Nun, da der alte Ritus beendet ist, feiere ich den neuen Ritus. Ich habe euch ein Wunder der Liebe versprochen. Nun ist die Stunde, es zu wirken. Deshalb habe ich dieses Passahfest herbeigesehnt. Von nun an ist dies die Opfergabe, die in einem ewigen Ritus der Liebe dargebracht werden wird. Ich habe euch mein ganzes irdisches Leben lang geliebt, meine Freunde. Ich habe euch seit aller Ewigkeit geliebt, meine Kinder. Ich will euch lieben bis ans Ende. Es gibt nichts Größeres als dies. Denkt daran. Ich gehe von euch. Doch durch das Wunder, dass ich nun wirke, werden wir für immer vereint bleiben.»

Jesus nimmt ein noch ganzes Brot und legt es auf den vollen Kelch. Er segnet und opfert beides, bricht dann das Brot in dreizehn Stücke, gibt jedem Apostel eines und sagt: «Nehmet und esset. Das ist mein Leib. Tut dies zu meinem Gedächtnis, denn ich verlasse euch.»

Dann reicht er ihnen den Kelch und sagt: «Nehmet und trinket. Das ist mein Blut. Das ist der Kelch des neuen Bundes in meinem Blut und durch mein Blut, dass für euch zur Vergebung eurer Sünden vergossen wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis.»

Jesus ist todtraurig. Jegliche Spur eines Lächelns, aller Glanz und alle Farbe sind aus seinem Gesicht gewichen. Es ist schon von Todesangst gezeichnet. Die Apostel betrachten ihn bange.

Jesus erhebt sich und sagt: «Bleibt sitzen. Ich komme sofort zurück.» Er nimmt das dreizehnte Brotstückchen und den Kelch und verläßt den Saal.

«Er geht zur Mutter», flüstert Johannes.

Judas Thaddäus seufzt: «Arme Frau!»

Petrus fragt leise: «Glaubst du, sie weiß es?»

«Sie weiß alles. Sie hat immer alles gewußt.»

Alle sprechen sie so leise, als ob ein Toter im Raum wäre.

«Aber glaubt ihr, dass er wirklich...» fragt Thomas, der es immer noch nicht fassen kann.

«Du zweifelst noch daran? Es ist seine Stunde», antwortet ihm Jakobus des Zebedäus.

«Gott möge uns die Kraft geben, ihm treu zu bleiben», sagt der Zelote.

«Oh, ich ...» will Petrus eben sagen. Aber Johannes, der achtgibt, sagt: «Pst! Er kommt.»

Jesus kommt wieder herein. Er hat den leeren Kelch in der Hand. Auf seinem Grund ist noch eine Spur Wein zurückgeblieben und im Schein der Lampe sieht er wirklich wie Blut aus.

Judas Iskariot, der den Kelch vor sich hat, schaut ihn wie gebannt an und wendet dann den Blick ab. Jesus bemerkt es, und ein Schauer läuft über seinen Körper, den Johannes, der sich wieder an seine Brust gelehnt hat, spürt. «Aber, du zitterst ja ...» ruft er aus.

«Nein, ich zittere nicht im Fieber. – . Ich habe euch alles gesagt und alles gegeben. Mehr konnte ich euch nicht geben. Mich selbst habe ich euch gegeben.»

Er macht die sanfte Bewegung seiner Hände, bei der er sie zuerst faltet, dann öffnet und etwas ausstreckt, während er das Haupt senkt, als wollte er sagen: «Verzeiht, wenn ich nicht mehr kann. So ist es.»

«Alles habe ich euch gesagt, und alles habe ich euch gegeben. Ich wiederhole euch, der neue Ritus ist erfüllt. Tut dies zu meinem Gedächtnis. Ich habe euch die Füße gewaschen, um euch zu lehren, rein und demütig zu sein wie euer Meister. Denn wahrlich, ich sage euch, wie der Meister ist, so sollen auch die Jünger sein. Denkt daran, denkt daran. Auch wenn ihr oben sein werdet, denkt daran. Kein Jünger ist mehr als der Meister. Wie ich euch gewaschen habe, so tut es auch gegenseitig. Das heißt, liebt einander wie Brüder, helft einander, achtet euch gegenseitig und gebt einander ein gutes Beispiel. Seid rein. Um würdig das lebendige Brot, dass vom Himmel gekommen ist, zu essen, damit ihr durch dieses Brot die Kraft erhaltet, meine Jünger zu sein in einer feindlichen Welt, die euch um meines Namens willen hassen wird. Aber einer von euch ist nicht rein. Einer von euch wird mich verraten. Daher ist meine Seele erschüttert... Die Hand meines Verräters ist mit mir auf dem Tisch, und weder meine Liebe, noch mein Fleisch und Blut, noch mein Wort können ihn ändern und zur Reue bewegen. Ich würde ihm verzeihen und auch für ihn in den Tod gehen.»

Die Jünger sehen sich entsetzt an. Sie prüfen sich gegenseitig mißtrauisch. Petrus durchbohrt Judas mit Blicken und erinnert sich an alle seine Zweifel. Judas Thaddäus springt auf die Füße und schaut Iskariot über Matthäus hinweg an.

Aber Judas gibt sich so sicher. Er sieht nun seinerseits Matthäus an, so als würde er ihn verdächtigen. Dann schaut er Jesus lächelnd an und fragt: «Bin ich es etwa?» Es scheint, dass er seiner eigenen Redlichkeit am allersichersten ist und dies nur sagt, damit die Unterhaltung nicht ins Stocken gerät.

Jesus wiederholt seine Geste von zuvor und sagt: «Du sagst es, Judas des Simon. Nicht ich. Du sagst es. Ich habe dich nicht genannt. Warum klagst du dich an? Frage deinen inneren Warner, dein Gewissen als Mensch, dass Gott der Vater dir gegeben hat, damit du dich wie ein Mensch benimmst, und höre, ob es dich anklagt. Du wirst es vor allen anderen wissen. Aber wenn es dich beruhigt, warum sagst du dann ein Wort und denkst an eine Tatsache, die auszusprechen oder zu denken selbst im Scherz schon Gotteslästerung ist?»

Jesus spricht ganz ruhig. Er scheint die aufgestellte These auszuführen, wie es etwa ein Gelehrter vor seinen Schülern tut. Die Aufregung ist groß. Doch durch die Ruhe Jesu legt sie sich.

Aber Petrus, der Judas am meisten mißtraut – vielleicht Thaddäus ebenso, obwohl es weniger den Anschein hat, denn die Frechheit des Iskariot hat ihn entwaffnet – zieht Johannes, der sich an Jesus geschmiegt hat, als von Verrat die Rede war, am Ärmel. Und als Johannes sich umdreht, flüstert er ihm zu: «Frage ihn, wer es ist.»

Johannes nimmt seine vorige Stellung wieder ein, hebt nur leicht das Haupt, als wolle er Jesus küssen, und flüstert ihm dabei ins Ohr: «Meister, wer ist es?»

Jesus antwortet ganz leise und küßt Johannes auf den Scheitel: «Der ist es, dem ich den Bissen Brot eintauchen und reichen werde.»

Er nimmt ein noch ganzes Brot, nicht den Rest des für die Eucharistie Verwendeten, und bricht einen großen Bissen ab, taucht ihn in den Saft des Lammes in der Schüssel, streckt seinen Arm über den Tisch und sagt: «Nimm, Judas. Du magst dies gern.»

«Danke, Meister. Ja, ich mag das gern.» In Unkenntnis darüber, was dieser Bissen bedeutet, ißt er ihn. Johannes schließt entsetzt die Augen, um das gräßliche Lachen des Iskariot nicht sehen zu müssen, während dieser mit seinen kräftigen Zähnen in das anklagende Brot beißt.

«Gut. Nun, da du zufrieden bist, geh», sagt Jesus zu Judas. «Alles ist hier (er betont dieses Wort ganz besonders) vollbracht. Was anderswo noch zu tun ist, dass tue bald, Judas des Simon.»

«Ich gehorche dir sofort, Meister. Später treffe ich dich in Gethsemane. Du gehst doch dorthin, nicht wahr? Wie immer?»

«Ich gehe dorthin... wie immer... ja.»

«Was hast du zu tun?» fragt Petrus. «Gehst du allein?»

«Ich bin doch kein Kind», spöttelt Judas, der bereits seinen Mantel anlegt.

«Laß ihn gehen. Er und ich wissen, was zu tun ist», sagt Jesus.

«Ja, Meister.» Petrus schweigt. Vielleicht glaubt er, dass er mit seinem Verdacht gegen den Gefährten gesündigt hat. Er legt die Hand an die Stirn und denkt nach.

Jesus drückt Johannes ans Herz und flüstert ihm nochmals ins Haar: «Sage Petrus noch nichts. Es wäre ein unnötiges Ärgernis.»

«Leb wohl, Meister. Lebt wohl, Freunde.» Judas verabschiedet sich.

«Leb wohl», sagt Jesus.

Und Petrus: «Leb wohl, Junge.»

Johannes, dass Haupt beinahe im Schoß Jesu, murmelt: «Satan!» Jesus allein hört es und seufzt.

Hier hört alles auf. Jesus sagt: «Ich unterbreche aus Mitleid mit dir die Vision. Zu gegebener Zeit lasse ich dich das Ende des Abendmahles schauen.»

Einige Minuten herrscht absolutes Schweigen. Jesus hält das Haupt gesenkt und streichelt mechanisch das blonde Haar des Johannes.

Dann gibt er sich einen Ruck, hebt das Haupt, läßt den Blick über die Apostel schweifen und tröstet sie durch ein Lächeln. Er sagt: «Wir wollen den Tisch verlassen und uns nahe zusammensetzen, wie Kinder um ihren Vater.»

Sie nehmen die Liegen, die hinter dem Tisch stehen (die von Jesus, Johannes, Jakobus, Petrus, Simon, Andreas und dem Vetter Jakobus), und tragen sie auf die andere Seite.

Jesus setzt sich auf die seine, wiederum zwischen Johannes und Jakobus. Als er aber sieht, dass Andreas sich auf den von Iskariot verlassenen Platz setzen will, ruft er aus: «Nein, nicht dorthin!» Ein impulsiver Ausruf, den selbst seine große Klugheit nicht verhindern kann. Dann verbessert er: «Wir brauchen nicht so viel Platz. Wenn wir uns setzen, genügen diese Liegen. Ich möchte euch ganz nahe bei mir haben.»

Nun sitzen sie alle auf den in U-Form aufgestellten Liegen und Jesus ihnen gegenüber in der Mitte am Tisch, auf dem nun keine Speisen mehr stehen.

Jakobus des Zebedäus ruft Petrus: «Setze dich hierher. Ich setze mich auf diesen Schemel zu Füßen Jesu.»

«Gott segne dich, Jakobus! Das habe ich mir so sehr gewünscht!» sagt Petrus und setzt sich dicht neben seinen Meister, der sich nun zwischen Johannes und Petrus eingezwängt befindet, mit Jakobus zu seinen Füßen.

Jesus lächelt: «Ich sehe, dass meine vor kurzem gesprochenen Worte schon zu wirken beginnen. Die guten Brüder lieben sich. Auch ich sage dir, Jakobus: „Gott segne dich.“ Und der Ewige wird diese deine Tat nicht vergessen, und du wirst dort oben den Lohn dafür empfangen.

Ich vermag alles, worum ich bitte. Ihr habt es gesehen. Mein Wunsch hat genügt, und der Vater hat dem Sohn erlaubt, sich den Menschen als Speise zu geben. Durch das, was jetzt geschehen ist, ist der Menschensohn verherrlicht; denn das Wunder, dass nur den Freunden Gottes möglich ist, beweist seine Macht. Je größer das Wunder, desto gewisser und tiefer ist diese Freundschaft Gottes. Es ist dies ein Wunder, dass in seiner Art, Dauer und Natur, und durch seine Bedeutung und seine Tragweite nicht größer sein könnte. Ich sage euch: Es ist so gewaltig, so übernatürlich und so unfaßbar für den Hochmut des Menschen, dass nur sehr wenige es verstehen werden, wie es verstanden werden muss, und viele werden es leugnen. Was werde ich dann sagen? Fluch über sie? Nein. Ich werde sagen: Erbarmen!

Aber je größer das Wunder ist, desto größer ist die Ehre dessen, der es wirkt. Es ist Gott selbst, der sagt: „Seht, dieser mein Auserwählter hat es gewollt und hat es erhalten. Ich habe es ihm gewährt, denn er findet große Gnade vor meinen Augen.“ Und hier sagt er: „Er findet unendliche Gnade, so wie das von ihm gewirkte Wunder unendlich ist.“ Und ebenso, wie die Herrlichkeit von Gott auf den Urheber des Wunders herabkommt, steigt die Herrlichkeit von ihm zum Vater auf. Denn alle übernatürliche Herrlichkeit kehrt, da sie von Gott kommt, zu ihrer Quelle zurück. Und die Herrlichkeit Gottes, obwohl sie unendlich ist, wird noch vermehrt und noch strahlender durch die Herrlichkeit seiner Heiligen. Daher sage ich: Wie der Menschensohn durch Gott verherrlicht ist, so ist Gott durch den Menschensohn verherrlicht. Ich habe Gott in mir verherrlicht. Gott wird seinerseits seinen Sohn in sich verherrlichen. Sehr bald wird er ihn verherrlichen.

Frohlocke, o geistiger Wesenskern der zweiten Person, der du nun zu deinem Thron zurückkehrst! Frohlocke, o Fleisch, dass du aufsteigst nach so langem Exil im Staub. Nicht mehr das Paradies des Adam, sondern das erhabene Paradies des Vaters wird dir zur Wohnstatt gegeben werden! Wenn geschrieben steht, dass die Sonne stillstand aus Verwunderung über einen Befehl Gottes, der durch den Mund eines Menschen erging, was wird dann erst mit den Sternen geschehen, wenn sie das Wunder am Fleisch des Menschen sehen, dass auffährt und sich in der Vollkommenheit der verherrlichten Materie zur Rechten des Vaters setzt? Meine Kinder, nur noch eine kleine Weile bin ich bei euch. Dann werdet ihr mich suchen, wie Waisen ihren toten Vater suchen. Weinend werdet ihr umherirren und von ihm sprechen, und vergeblich werdet ihr an das stumme Grab pochen und dann an die blauen Pforten des Himmels und bittend eure Seelen erheben auf der Suche nach Liebe und sagen: „Wo ist unser Jesus? Wir wollen ihn bei uns haben. Ohne ihn ist kein Licht mehr in der Welt, keine Freude, keine Liebe! Oh, gebt ihn uns wieder oder laßt uns hinein. Wir wollen sein, wo er ist.“ Aber vorerst könnt ihr nicht kommen, wohin ich gehe. Ich habe es auch zu den Juden gesagt: „Dann werdet ihr mich suchen, aber wo ich hingehe, dorthin könnt ihr mir nicht folgen.“ Ich sage es auch zu euch.

Denkt an die Mutter... Selbst sie kann nicht kommen, wohin ich gehe. Und doch habe ich den Vater verlassen, um zu ihr zu kommen und in ihrem unbefleckten Schoß Jesus zu werden. Und doch bin ich aus der Unversehrten gekommen, in der strahlenden Ekstase meiner Geburt. Von ihrer zu Milch gewordenen Liebe habe ich mich genährt. Ich bin aus Reinheit und Liebe hervorgegangen, denn Maria hat mich genährt mit ihrer von der vollkommenen Liebe, die im Himmel lebt, befruchteten Jungfräulichkeit. Durch sie bin ich herangewachsen und habe sie Mühen und Tränen gekostet... Und doch verlange ich einen bisher nie erreichten Heroismus von ihr, im Vergleich zu dem Judith und Jael nur die Heldentaten armer Frauen, die einer Rivalin am Dorfbrunnen gegenübertreten, vollbracht haben. Und doch liebt mich niemand wie sie. Und trotzdem verlasse ich sie und gehe dorthin, wohin sie erst nach langer Zeit kommen kann. Das Gebot, dass ich euch gebe, gilt nicht für sie: „Heiligt euch Jahr für Jahr, Monat für Monat, Tag für Tag, Stunde um Stunde, damit ihr zu mir kommen könnt, wenn eure Stunde schlägt.“ In ihr ist alle Gnade und Heiligkeit. Sie ist das Geschöpf, dass alles erhalten und alles gegeben hat. Nichts ist hinzuzufügen oder wegzunehmen. Sie ist der heiligste Beweis dessen, was Gott kann.

Aber um sicher zu sein, dass ihr fähig sein werdet, zu mir zu kommen und den Schmerz und die Trauer der Trennung von eurem Jesus zu überwinden, gebe ich euch ein neues Gebot. Es ist das Gebot, dass ihr einander lieben sollt. Liebt einander, wie ich euch geliebt habe. Daran wird man erkennen, dass ihr meine Jünger seid. Wenn ein Vater viele Söhne hat, woran erkennt man diese? Nicht so sehr am Aussehen – denn es gibt Menschen, die anderen gleichen und doch nicht zur gleichen Familie und nicht einmal zum gleichen Volk gehören – als vielmehr an der gemeinsamen Liebe zur Familie, zu ihrem Vater und zueinander. Und auch nach dem Tod des Vaters löst sich die gute Familie nicht auf; denn alle sind eines Blutes und in allen fließt das Blut des Vaters und schafft Bindungen, die nicht einmal der Tod löst; denn die Liebe ist stärker als der Tod. Wenn ihr einander nun liebt, auch nachdem ich euch verlassen habe, werden alle erkennen, dass ihr meine Kinder seid, dass ihr meine Jünger seid, und untereinander Brüder, da ihr nur einen Vater habt.»

«Herr, Jesus, aber wohin gehst du denn?» fragt Petrus.

«Ich gehe, wohin du jetzt noch nicht folgen kannst. Doch später wirst du mir folgen.»

«Und warum nicht jetzt? Ich bin dir immer gefolgt, seit du mir gesagt hast: „Folge mir.“ Alles habe ich ohne Bedauern verlassen... Wenn du jetzt fortgehst ohne deinen armen Simon und mich ohne dich, mein Alles, zurückläßt, nachdem ich für dich mein voriges geringes Gut verlassen habe, so ist das nicht gerecht und nicht schön von dir. Du gehst in den Tod? Nun gut. Auch ich gehe mit. Wir gehen zusammen in die andere Welt. Aber erst, nachdem ich dich verteidigt habe. Ich bin bereit, mein Leben für dich hinzugeben.»

«Dein Leben willst du für mich hingeben? Jetzt? Jetzt nicht. Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, noch ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Nun ist noch die erste Nachtwache, dann kommt die zweite... und dann die dritte. Vor dem Hahnenschrei wirst du deinen Herrn dreimal verleugnet haben.»

«Unmöglich, Meister! Ich glaube alles, was du sagst. Aber dies glaube ich nicht. Ich bin meiner sicher.»

«Jetzt, in diesem Augenblick, bist du deiner sicher, denn jetzt hast du mich noch. Du hast Gott bei dir. Bald wird der menschgewordene Gott gefangengenommen werden, und ihr werdet ihn nicht mehr haben. Nachdem Satan euch gelähmt hat – gerade deine Selbstsicherheit ist eine List Satans, Ballast, um dich zu beschweren – wird er euch Furcht einflößen. Er wird euch einreden: „Gott ist nicht. Ich bin.“ Und da ihr, obgleich starr vor Schrecken, noch vernünftig denken könnt, werdet ihr verstehen: Wenn Satan Herr der Stunde ist, stirbt das Gute und herrscht das Böse, unterliegt der Geist und gewinnt das Menschliche die Oberhand. Dann werdet ihr führerlosen, vom Feind verfolgten Kriegern gleichen, und mit der Kopflosigkeit von Besiegten werdet ihr euren Rücken vor dem Sieger beugen und den gefallenen Helden verleugnen, damit man euch nicht tötet. Aber ich bitte euch, euer Herz erschrecke nicht. Glaubt an Gott und glaubt an mich. Gegen allen Anschein, glaubt an mich. Glaubt an meine Barmherzigkeit und an die des Vaters, sowohl der, der bleibt, als auch der, der flieht. Sowohl der, der schweigt, als auch der, der den Mund öffnet und sagt: „Ich kenne ihn nicht.“ Und glaubt ebenso an meine Verzeihung. Glaubt, was immer ihr in Zukunft tut, an das Gute und an meine Lehre, an meine Kirche also. So werdet ihr einen Platz im Himmel haben. Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen. Wäre es nicht so, hätte ich es euch gesagt. Ich gehe voraus, um euch einen Platz zu bereiten. Machen es die guten Väter nicht so, wenn sie mit ihren Kindern die Wohnung wechseln? Sie gehen voraus, richten das Haus her, stellen die Möbel auf und sorgen für Vorräte. Dann kehren sie zurück und holen ihre lieben Kinder. Sie tun es aus Liebe. Damit es den Kleinen an nichts fehlt und sie sich in der neuen Umgebung wohlfühlen. Ich mache es ebenso. Und aus demselben Grund. Nun gehe ich. Wenn ich für jeden den Platz im himmlischen Jerusalem bereitet habe, komme ich wieder und nehme euch mit mir, damit ihr seid, wo ich bin und wo es keinen Tod und keine Trauer, noch Tränen, Jammer, Hunger, Schmerz, Finsternis oder Betrübnis gibt, sondern nur Licht, Frieden, Seligkeit und Gesänge. Oh, Himmelsklänge, wenn die zwölf Auserwählten mit den zwölf Patriarchen der Stämme Israels auf den Thronen sitzen und im Feuerbrand der geistigen Liebe und im Meer der Seligkeiten das ewige Lied singen werden, begleitet von den Harfenklängen des ewigen Halleluja der Heerscharen der Engel... Ich will, dass auch ihr seid, wo ich sein werde. Und ihr wißt, wohin ich gehe, und kennt den Weg.»

«Aber Herr! Wir wissen nichts. Du sagst uns nicht, wohin du gehst. Wie können wir wissen, welchen Weg wir nehmen müssen, um zu dir zu kommen und die Wartezeit zu verkürzen?» fragt Thomas.

«Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Ihr habt es mich oft sagen und erklären gehört, und wahrlich, einige, die nicht einmal wußten, dass es einen Gott gibt, haben sich auf meinen Weg gemacht und sind euch schon vorausgegangen. Oh, wo bist du, verlorenes Schaf Gottes, dass ich in den Schafstall zurückgeführt habe? Und wo bist du, auferstandene Seele?»

«Wer? Von wem sprichst du? Von Maria des Lazarus? Sie ist drüben, bei deiner Mutter. Willst du, dass wir sie rufen? Oder Johanna? Sie ist sicher in ihrem Palast. Aber wenn du willst, holen wir sie...

«Nein, nicht diese... Ich denke an jene, die erst im Himmel entschleiert wird... und an Photinai... Sie haben mich gefunden. Sie haben meinen Weg nicht mehr verlassen. Der einen habe ich den Vater als wahren Gott gezeigt und den Geist als Leviten zu ihrer besonderen Verehrung. Der anderen, die nicht einmal wußte, dass sie eine Seele hat, habe ich gesagt: „Mein Name ist 'Erlöser. Ich rette, die den guten Willen haben, gerettet zu werden. Ich bin der, der die Verlorenen sucht, der das Leben, die Wahrheit und die Reinheit gibt. Wer mich sucht, findet mich.“ Und beide haben Gott gefunden... Ich segne euch, schwache Evas, die ihr stärker als Judith geworden seid... Ich komme dorthin, wo ihr seid, ich komme... Ihr tröstet mich... Seid gesegnet...»

«Zeige uns den Vater, Herr, und wir werden diesen gleich sein», sagt Philippus.

«Schon so lange bin ich bei euch, und du, Philippus, kennst mich noch nicht? Wer mich sieht, sieht meinen Vater. Wie kannst du also sagen: „Zeige uns den Vater“? Kannst du glauben, dass ich im Vater bin und der Vater in mir ist? Die Worte, die ich zu euch rede, sage ich nicht aus mir selbst. Der Vater, der in mir lebt, tut alle meine Werke. Ihr glaubt nicht, dass ich im Vater bin und er in mir ist? Was muss ich sagen, damit ihr glaubt? Wenn ihr den Worten nicht glaubt, dann glaubt wenigstens den Werken. Ich sage euch, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, wird die Werke tun, die ich tue, und er wird noch größere tun, denn ich gehe zum Vater. Und alles, um was ihr den Vater in meinem Namen bitten werdet, werde ich tun, damit der Vater in seinem Sohn verherrlicht werde. Und um was ihr mich in meinem Namen bitten werdet, dass werde ich tun. Mein wirklicher Name ist nur mir allein, dem Vater, der mich gezeugt hat, und dem Heiligen Geist, der aus unserer Liebe hervorgeht, bekannt. Und in diesem Namen ist alles möglich. Wer mit Liebe an meinen Namen denkt, liebt mich und wird erhalten, um was er bittet. Aber es genügt nicht, mich zu lieben. Es ist nötig, meine Gebote zu halten, um die wahre Liebe zu haben. Es sind die Werke, die die Gefühle bezeugen. Um dieser Liebe willen werde ich den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Tröster senden, der immer bei euch bleibt. Einen, dem Satan und die Welt nichts anhaben können, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen und gegen den sie nichts ausrichten kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Sie wird ihn verlachen. Aber er ist so erhaben, dass der Spott ihn nicht trifft, während er, der über alle Maßen barmherzig ist, immer mit denen sein wird, die ihn lieben, selbst wenn sie arm und schwach sind. Ihr werdet ihn kennenlernen, denn er ist schon bei euch, und bald wird er in euch sein. Ich lasse euch nicht als Waisen zurück. Ich habe euch schon gesagt: „Ich werde zu euch zurückkehren.“ Aber schon vor der Stunde, da ich euch holen und in mein Reich führen werde, komme ich. Zu euch komme ich. Noch eine kleine Weile, und die Welt sieht mich nicht mehr. Aber ihr seht mich und werdet mich sehen. Denn ich lebe, und auch ihr lebt. Denn ich werde leben, und auch ihr werdet leben. An jenem Tag werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch. Denn wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt. Wer aber mich liebt, den wird mein Vater lieben, und er wird Gott besitzen. Und ich werde ihn lieben, da ich Gott in ihm sehe, und ich werde mich ihm offenbaren in den Geheimnissen meiner Liebe, meiner Weisheit und meiner fleischgewordenen Gottheit. Das wird meine Rückkehr zu den Menschenkindern sein, die ich liebe, obwohl sie schwach sind und sogar meine Feinde. Aber diese werden nur schwach sein; und ich werde sie stärken und zu ihnen sagen: „Steh auf!“, ich werde sagen: „Komm heraus!“, ich werde sagen: „Folge mir!“, ich werde sagen: „Höre!“, ich werde sagen: „Schreibe!“. Und ihr werdet unter ihnen sein.»

«Warum, Herr, offenbarst du dich uns und nicht der Welt?» fragt Judas Thaddäus.

«Weil ihr mich liebt und meine Worte bewahrt. Wer dies tut, den wird der Vater lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm, in ihm, nehmen. Wer mich aber nicht liebt, bewahrt meine Worte nicht und gehorcht dem Fleisch und der Welt. Wißt, was ich euch sage, sind nicht die Worte Jesu, des Nazareners, sondern die Worte des Vaters; denn ich bin das Wort des Vaters, der mich gesandt hat. Ich habe euch diese Dinge gesagt, während ich unter euch weile, weil ich euch auf den vollkommenen Besitz der Wahrheit und der Weisheit vorbereiten will. Aber jetzt könnt ihr sie weder verstehen noch sie in eurem Gedächtnis bewahren. Doch wenn der Tröster kommt, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, dann werdet ihr verstehen. Er wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.

Meinen Frieden hinterlasse ich euch. Meinen Frieden gebe ich euch. Nicht wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch. Und auch nicht, wie ich ihn bisher gegeben habe: den gesegneten Gruß des Gesegneten für die Gesegneten. Tiefer ist der Friede, den ich euch jetzt gebe. Bei diesem Lebewohl teile ich euch mich selbst, meinen Geist des Friedens, mit, so wie ich euch mein Fleisch und Blut gegeben habe, um euch für die bevorstehende Schlacht zu stärken. Satan und die Welt entfesseln einen Krieg gegen euren Jesus. Es ist ihre Stunde. Habt in euch Frieden, meinen Geist, der ein Geist des Friedens ist, da ich selbst der König des Friedens bin. Habt diesen Frieden in euch, damit ihr euch nicht zu verlassen fühlt. Wer im Frieden Gottes leidet, leidet, aber er lästert und verzweifelt nicht.

Weint nicht. Ihr habt doch gehört, dass ich gesagt habe: „Ich gehe zum Vater und komme wieder.“ Wenn ihr mich über das Fleisch hinaus liebtet, würdet ihr euch freuen, dass ich nach einem so langen Exil zum Vater gehe... Ich gehe zu dem, der größer ist als ich und der mich liebt. Nun habe ich es euch gesagt, ehe es eintritt, so wie ich euch alle Leiden des Erlösers gesagt habe, bevor er sie auf sich nimmt, damit ihr immer mehr an mich glaubt, wenn es eintritt. Seid nicht so bange! Verzagt nicht! Euer Herz hat Gleichmut nötig... Ich werde nicht mehr lange zu euch sprechen... und ich hätte euch noch so vieles zu sagen! Nun bin ich am Ende meiner Verkündigung angekommen, und es scheint mir, als hätte ich noch nichts gesagt und als bliebe noch viel, viel, so viel zu tun. Euer Zustand verstärkt diesen meinen Eindruck. Was soll ich also sagen? dass ich meine Pflicht vernachlässigt habe? Oder, dass eure Herzen so verhärtet sind, dass alles umsonst war? Soll ich zweifeln? Nein. Ich vertraue mich Gott an, und ihm vertraue ich auch euch, meine Auserwählten, an. Er wird das Werk seines Wortes vollenden. Ich bin nicht wie ein Vater, der stirbt und kein anderes Licht hat als das irdische. Ich hoffe auf Gott. Und obwohl ich euch noch so viele Ratschläge geben müßte, die ihr offensichtlich nötig habt, und obwohl ich die Zeit fliehen fühle, gehe ich ruhig meinem Schicksal entgegen. Ich weiß, dass auf die in euch gesäten Samen der Tau herniederfällt, der alle zum Keimen bringt. Dann wird die Sonne des Paraklet erscheinen, und sie werden zu mächtigen Bäumen heranwachsen. Der Fürst dieser Welt ist im Kommen, er, mit dem ich nichts zu tun habe. Und wenn es nicht der Erlösung diente, würde er nichts über mich vermögen. Doch dies geschieht, damit die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe, dass ich ihn im Gehorsam bis zum Tod liebe und daher tue, was er mir befohlen hat.

Es ist Zeit zu gehen. Steht auf. Hört die letzten Worte. Ich bin der wahre Weinstock. Der Vater ist der Weingärtner. Jede Rebe, die keine Frucht bringt, entfernt er, und jede, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie noch mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein durch mein Wort. Bleibt in mir und ich in euch, damit ihr rein bleibt. Die vom Weinstock getrennte Rebe kann keine Frucht bringen. So auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, und ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt, wird viele Frucht bringen. Wer sich jedoch von mir trennt, verdorrt wie der Rebzweig und wird ins Feuer geworfen und verbrennt. Denn ohne die Vereinigung mit mir, könnt ihr nichts tun. Bleibt also in mir und bewahrt meine Worte in euch; dann bittet um was ihr wollt, und es wird euch gegeben werden. Mein Vater wird immer mehr verherrlicht, je mehr ihr Frucht bringt und meine Jünger seid.

Wie mich der Vater geliebt hat, so liebe ich euch. Bleibt in meiner erlösenden Liebe. Wenn ihr mich liebt, werdet ihr mir gehorchen, und der Gehorsam wird die gegenseitige Liebe vermehren. Sagt nicht, dass ich mich wiederhole. Ich kenne eure Schwäche. Und ich will, dass ihr gerettet werdet. Das habe ich zu euch geredet, damit die Freude, die ich euch geben wollte, in euch sei, und eure Freude vollkommen werde. Liebt einander! Liebt einander! Das ist mein neues Gebot. Liebt euch gegenseitig mehr, als jeder sich selbst liebt. Es gibt keine größere Liebe als die Lieb dessen, der sein Leben hingibt für seine Freunde. Ihr seid meine Freunde, und ich gebe mein Leben für euch hin. Tut also, was ich euch lehre und gebiete. Ich nenne euch nicht mehr Knechte, denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut; ihr aber wißt, was ich tue. Ihr wißt alles von mir. Ich habe euch nicht nur mich selbst zu erkennen gegeben, sondern auch den Vater und den Paraklet und alles, was ich von Gott gehört habe. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr zu den Völkern geht und Frucht in euch und in den Herzen der Bekehrten bringt, und dass eure Frucht bleibe und der Vater euch gebe, was immer ihr von ihm in meinem Namen erbittet.

Sagt nicht: „Wenn du uns erwählt hast, warum hast du dann auch einen Verräter erwählt? Wenn du alles weißt, warum hast du das getan?“ Fragt euch auch nicht, wer er ist. Er ist kein Mensch. Er ist Satan. Ich habe es dem treuen Freund gesagt, und ich habe es den Lieblingssohn aussprechen lassen. Er ist Satan. Wenn Satan – der ewige Affe Gottes – nicht Fleisch angenommen hätte in einer sterblichen Hülle, wäre dieser Besessene der Macht Jesu nicht entkommen. Ich habe gesagt: „Besessene“. Nein, er ist viel mehr: er ist ein in Satan Ausgelöschter.»

«Aber du hast doch Dämonen ausgetrieben. Warum hast du dann ihn nicht befreit?» fragt Jakobus des Alphäus.

«Fragst du das aus Selbstliebe, weil du fürchtest, jener zu sein? Hab keine Angst.»

«Ich vielleicht?»

«Ich?»

«Oder ich?»

«Schweigt. Ich werde den Namen nicht nennen. Ich übe Barmherzigkeit, und ihr sollt ebenso tun.»

«Aber warum hast du ihn nicht besiegt? Konntest du es nicht?»

«Ich hätte es gekonnt. Aber um zu verhindern, dass Satan Fleisch annimmt, um mich zu töten, hätte ich das ganze Menschengeschlecht vor der Erlösung ausrotten müssen. Was hätte ich dann noch erlöst?»

«Sage es mir, Herr! Sage es mir!» Petrus ist auf die Knie gesunken und schüttelt Jesus heftig, als ob er von Fieber befallen wäre. «Bin ich es? Bin ich es? Ich prüfe mich. Ich glaube es nicht. Aber du... Du hast gesagt, dass ich dich verleugnen werde... Und ich zittere. Oh, wie entsetzlich, wenn ich es wäre...!»

«Nein, Simon des Jonas, du nicht.»

«Warum nennst du mich nicht mehr „Fels“? Bin ich nun wieder Simon? Siehst du! Du sagst es! ... Ich bin es! Aber wie konnte ich das? Sagt es mir... Sagt ihr es mir... Wann und wie konnte ich zum Verräter werden? ... Simon? ... Johannes? ... So redet doch! ...»

«Petrus, Petrus, Petrus! Ich nenne dich Simon, weil ich an unsere erste Begegnung denke, als du noch Simon warst. Ich denke auch daran, wie du

von Anfang an immer treu gewesen bist. Du bist es nicht. Ich, die Wahrheit, sage es dir.»

«Wer dann?»

«Es ist doch Judas von Kerioth! Hast du das noch nicht begriffen?»schreit Thaddäus, der sich nicht mehr beherrschen kann.

«Warum hast du mir das nicht gleich gesagt? Warum?» schreit nun auch Petrus.

«Ruhe. Er ist Satan. Er hat keinen anderen Namen. Wo gehst du hin, Petrus?»

«Ihn suchen.»

«Lege sofort den Mantel und die Waffe ab. Oder muss ich dich fortjagen und verfluchen?»

«Nein, nein! Oh, mein Herr! Aber ich... aber ich... bin ich vielleicht fieberkrank?» Petrus weint am Boden zu Füßen Jesu.

«Ich gebe euch das Gebot, zu lieben und zu verzeihen. Habt ihr verstanden? Wenn in der Welt auch Haß ist, in euch soll nur Liebe sein. Zu allen. Wie viele Verräter werdet ihr auf eurem Weg finden! Aber ihr dürft sie nicht hassen und ihnen Böses mit Bösem vergelten. Sonst wird der Vater euch hassen. Vor euch haben sie mich gehaßt und verraten. Und doch, ihr seht es, ich hasse nicht. Die Welt kann nicht lieben, was anders ist als sie. Daher wird sie euch nicht lieben. Wenn ihr von der Welt wäret, würde sie euch lieben; aber ihr seid nicht von der Welt, da ich euch von der Welt auserwählt habe. Deshalb werdet ihr gehaßt.

Ich habe euch gesagt: Der Knecht ist nicht mehr als sein Herr. Haben sie mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen. Haben sie mein Wort gehalten, so werden sie auch das eure halten. Aber all das werden sie euch antun um meines Namens willen, weil sie den nicht kennen, nicht kennen wollen, der mich gesandt hat. Wäre ich nicht gekommen und hätte ich nicht zu ihnen geredet, so wären sie ohne Sünde. Nun aber haben sie keine Entschuldigung für ihre Sünde. Sie haben meine Werke gesehen, meine Worte gehört, und doch haben sie mich gehaßt, und mit mir den Vater; denn ich und der Vater bilden eine Einheit mit der Liebe. Es steht geschrieben: „Sie hassen mich grundlos.“ Wenn aber der Tröster, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, kommt, wird er Zeugnis von mir geben. Auch ihr werdet von mir Zeugnis geben, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen. Dies sage ich euch, damit ihr, wenn die Stunde gekommen ist, nicht irre werdet und Anstoß nehmt. Die Zeit wird kommen, da man euch aus den Synagogen ausstößt und jeder, der euch tötet, Gott damit einen Dienst zu erweisen glaubt. Sie haben weder mich noch den Vater kennengelernt. Das ist ihre Entschuldigung. Früher habe ich euch diese Dinge nicht so ausführlich gesagt, denn ihr wart wie neugeborene Kinder. Aber nun verläßt euch die Mutter. Ich gehe. Ihr müßt euch an andere Nahrung gewöhnen. Ich will, dass ihr es wißt.

Keiner fragt mich mehr: „Wohin gehst du?“ Die Traurigkeit macht euch stumm. Und doch ist es auch für euch gut, dass ich gehe. Denn sonst würde der Tröster nicht kommen. Ich werde ihn euch senden. Wenn er gekommen ist, wird er durch die Weisheit und das Wort, die Werke und den Heroismus, die er euch einflößt, die Welt von ihrer Sünde des Gottesmordes überzeugen und meiner Heiligkeit Gerechtigkeit widerfahren lassen. Die Menschheit wird sich spalten in Verworfene, die Feinde Gottes, und in Gläubige. Letztere werden mehr oder weniger heilig sein, je nach ihrem Willen. Aber das Gericht über den Fürsten der Welt und seine Diener wird stattfinden. Mehr kann ich euch nicht sagen, denn ihr könnt es noch nicht verstehen. Aber er, der göttliche Paraklet, wird euch die ganze Wahrheit lehren, denn er wird nicht aus sich selbst reden, sondern alles sagen, was er von den Gedanken Gottes hört, und er wird euch die Zukunft verkünden. Er wird von dem Meinigen nehmen, dass heißt, von dem, was der Vater hat, und wird es euch sagen.

Noch eine kleine Weile sehen wir uns. Dann seht ihr mich nicht mehr. Und wiederum eine kleine Weile, und ihr seht mich wieder.

Ihr murrt untereinander und in euren Herzen. Hört ein Gleichnis. Das letzte eures Meisters. Wenn eine Frau empfangen hat und die Stunde der Geburt naht, hat sie Trauer, denn sie leidet und stöhnt. Hat sie aber das Kind geboren und drückt es an ihr Herz, hört aller Schmerz auf, und die Trauer wandelt sich in Freude, denn ein Mensch ist zur Welt gekommen.

So wird es auch euch ergehen. Ihr werdet weinen, und die Welt wird euch verspotten. Aber dann wird eure Trauer sich in Freude wandeln. Eine Freude, die die Welt nicht kennt. Jetzt seid ihr traurig. Aber wenn ihr mich wiederseht, wird euer Herz voll einer Freude sein, die euch niemand mehr nehmen kann. Eine so große Freude wird es sein, dass sie jedes Bedürfnis des Geistes, des Herzens und des Fleisches in den Schatten stellt. Ihr werdet euch ganz der Freude, mich wiederzusehen, hingeben und alles andere vergessen. Aber gerade von da an könnt ihr alles in meinem Namen erbitten, und es wird euch vom Vater gegeben werden, damit eure Freude noch zunehme. Bittet, bittet und ihr werdet empfangen.

Es kommt die Stunde, da ich offen zu euch vom Vater sprechen werde; denn ihr werdet treu gewesen sein in der Prüfung, und alles wird überstanden sein. Daher wird eure Liebe vollkommen sein, denn sie hat euch Kraft in der Prüfung verliehen. Und was euch fehlt, dass werde ich ergänzen. Ich werde es von meinen unendlichen Schätzen nehmen und sagen: „Vater, sieh. Sie haben mich geliebt und haben geglaubt, dass ich von dir komme.“ Ich bin in die Welt herabgekommen und verlasse euch nun. Ich gehe zum Vater und bitte für euch.»

«Oh, nun sprichst du klar! Nun verstehen wir, was du sagen willst, und dass du alles weißt und antwortest, bevor man dich fragt. Wahrlich, du kommst von Gott!»

«Nun glaubt ihr? In der letzten Stunde? Seit drei Jahren spreche ich zu euch! Aber in euch wirkt schon das Brot, dass Gott ist, und der Wein, der Blut ist und nicht vom Menschen stammt. Sie verleihen euch den ersten Schauer der Vergöttlichung. Wenn ihr ausdauernd in meiner Liebe seid und mich immer besitzt, werdet ihr zu Göttern. Nicht wie Satan es Adam und Eva versprach, sondern wie ich es euch sage. Es ist dies die wahre Frucht vom Baum des Guten und des Lebens. Das Böse ist besiegt in dem, der sich davon nährt, und der Tod ist überwunden. Wer davon ißt, wird ewig leben und „Gott“ im Reich Gottes werden. Ihr werdet Götter sein, wenn ihr in mir bleibt. Und doch... obwohl ihr dieses Brot und dieses Blut in euch habt – denn die Stunde naht, da ihr zerstreut werdet – werdet ihr eures Weges gehen und mich alleinlassen... Aber ich bin nicht allein. Ich habe den Vater bei mir. Vater! Vater! Verlaß mich nicht! Ich habe euch alles gesagt... Um euch den Frieden zu geben. Meinen Frieden. Noch werdet ihr betrübt sein. Doch glaubt mir. Ich habe die Welt überwunden.»

Jesus erhebt sich, öffnet weit die Arme und spricht mit leuchtendem Antlitz das erhabene, an den Vater gerichtete Gebet. Johannes gibt es uns wortwörtlich wieder.

Die Apostel weinen mehr oder weniger laut und offen. Zuletzt singen sie ein Loblied.

Jesus segnet sie. Dann gebietet er: «Wir wollen jetzt die Mäntel anlegen und gehen. Andreas, sage dem Hausherrn, dass er alles so lassen soll. Das ist mein Wille. Morgen... werdet ihr euch freuen, diesen Ort wiederzusehen.» Jesus betrachtet ihn. Er scheint die Wände, die Möbel, alles zu segnen. Dann hüllt er sich in seinen Mantel und geht, gefolgt von den Aposteln und Johannes an seiner Seite, auf den er sich stützt.

«Grüßt du deine Mutter nicht?» fragt ihn der Sohn des Zebedäus.

«Nein. Es ist schon alles geschehen. Macht keinen Lärm.»

Simon, der eine Fackel an der Lampe entzündet hat, leuchtet voran im weiten Korridor, der zur Tür führt. Petrus öffnet vorsichtig das Haustor. Sie gehen auf die Straße hinaus und riegeln durch eine Vorrichtung von außen zu. Dann machen sie sich auf den Weg.

1. BETRACHTUNGEN ÜBER DAS LETZTE ABENDMAHL

Jesus sagt:

«Aus der Episode des Abendmahls sind, außer der Betrachtung der Liebe eines Gottes, der sich den Menschen zur Speise gibt, vier hauptsächliche Lehren zu entnehmen:

1. Die Pflicht aller Kinder Gottes, dem Gesetz zu gehorchen.

Das Gesetz gebot, am Passahfest das Osterlamm zu verzehren mit dem Ritual, dass der Allerhöchste dem Moses vorgeschrieben hatte; und ich, der wahre Sohn des wahren Gottes, fühlte mich durch meine Gottheit nicht über dieses Gesetz erhaben. Ich war auf der Erde: Mensch unter Menschen und Meister der Menschen. Ich musste daher meine Pflicht als Mensch gegen Gott wie die anderen und besser als sie erfüllen. Die Gnaden Gottes entbinden nicht vom Gehorsam und von der Bemühung, eine immer vollkommenere Heiligkeit zu erreichen. Wenn ihr die höchste Heiligkeit mit der göttlichen Vollkommenheit vergleicht, werdet ihr sie noch immer voller Mängel finden, und sie ist deshalb gezwungen sich zu bemühen, diese Mängel auszumerzen und einen Grad der Vollkommenheit zu erreichen, der sich so weit als möglich der Vollkommenheit Gottes annähert.

2. Die Macht des Gebetes Marias.

Ich war fleischgewordener Gott. Ein Fleisch, das, weil ohne Makel, die geistige Kraft besaß, dass Fleisch zu beherrschen. Dennoch habe ich die Hilfe der Gnadenvollen nicht verschmäht, sondern vielmehr darum gebeten; denn wenn sie auch in dieser Stunde der Sühne den Himmel über sich verschlossen fand, so doch nicht so vollständig, dass es ihr, der Königin der Engel, nicht gelungen wäre, dem Himmel einen Engel abzuringen als Trost für ihren Sohn. Oh, nicht für sich selbst, die arme Mama! Auch sie hat die Bitterkeit verkostet, vom Vater verlassen zu sein; aber dieser für die Erlösung aufgeopferte Schmerz hat mir die Kraft erlangt, die Todesangst im Ölgarten zu überwinden und die Passion durchzustehen in der Vielfalt ihrer Schmerzen, von denen jeder dazu diente, eine bestimmte Art und Weise der Sünde zu tilgen.

3. Sich selbst zu beherrschen und Beleidigungen zu erdulden – was der höchste Grad der Liebe ist – gelingt nur denen, die das Gebot der Liebe zum Leitsatz ihres Lebens machen. Das Gebot der Liebe, dass ich nicht nur gelehrt, sondern auch in die Tat umgesetzt habe.

Ihr könnt euch nicht vorstellen, was es für mich bedeutet hat, den Verräter an meinem Tisch zu haben, mich ihm geben zu müssen, mich vor ihm demütigen zu müssen, mit ihm aus dem Kelch des Rituals trinken zu müssen, meine Lippen an die Stelle zu legen, von der er getrunken hatte, und auch meine Mutter dort trinken zu lassen. Eure Ärzte haben oft über meinen so rasch eingetretenen Tod diskutiert und tun es immer noch. Sie nehmen als Ursache eine Verletzung des Herzens bei der Geißelung an. Ja, auch dadurch wurde mein Herz krank. Aber es war schon beim Abendmahl krank. Gebrochen, gebrochen von der Anstrengung, den Verräter an meiner Seite ertragen zu müssen. Es war schon der Anfang meines körperlichen Sterbens. Alles übrige war nur eine Steigerung dieses Todeskampfes. Was ich tun konnte, habe ich getan, denn ich war die Liebe. Auch in der Stunde, da der Gott der Liebe sich von mir zurückzog, war ich noch Liebe, denn ich hatte alle meine dreiunddreißig Jahre von Liebe gelebt. Man kann nicht die Vollkommenheit erreichen, die nötig ist, um den, der uns beleidigt, zu ertragen und ihm zu verzeihen, wenn die Liebe nicht zur Gewohnheit geworden ist. Ich hatte diese Gewohnheit und konnte verzeihen und diesen Meister der Beleidigung, der Judas war, ertragen.

4. Das Sakrament ist um so wirksamer, je würdiger man ist, es zu empfangen. Man wird seiner würdig durch einen ausdauernden Willen, der das Fleisch vernichtet und den Geist zum Herrscher erhebt, der die Leidenschaften besiegt, dass ganze Sein den Tugenden unterwirft und es auf die Vervollkommnung dieser Tugenden und vor allem der Liebe ausrichtet.

Denn wer liebt, versucht, den Geliebten zu erfreuen. Bei Johannes, der mich liebte wie kein anderer und der rein war, bewirkte das Sakrament die größte Transformation. Von diesem Augenblick an begann er der Adler zu sein, der sich in den Himmelshöhen Gottes zu Hause fühlt, dem es leichtfällt, aufzusteigen und die ewige Sonne zu schauen. Aber wehe dem, der das Sakrament durchaus unwürdig empfängt, der sogar seine immer gegebene menschliche Unwürdigkeit noch durch Todsünden vergrößert. Dann wird es nicht zum Mittel der Bewahrung, des Schutzes und des Lebens, sondern es führt zum Verderben und zum Tod. Zum Tod des Geistes und zur Fäulnis des Fleisches, dass bersten wird, wie Petrus vom Fleisch des Judas sagt. Ein solcher vergießt nicht den lebendigen, schönen Purpur seines Blutes, sondern die von allen Begierden schwarz gewordenen Eingeweide; die Fäulnis quillt aus seinem verdorbenen Fleisch, wie aus dem Aas eines unreinen, bei den Vorübergehenden Abscheu erregenden Tieres. Wer das Sakrament entweiht, stirbt immer den Tod der Verzweiflung. Er kennt nicht den sanften Übergang eines Menschen im Stand der Gnade, noch den heroischen Übergang des Opfers, dass unter schweren Leiden, aber mit zum Himmel gerichtetem Blick stirbt und dessen Seele des Friedens gewiss ist. Der Tod des Verzweifelten ist furchtbar und voller Schrecken. Er ist ein entsetzlicher Krampf der Seele, die sich schon in den Klauen Satans windet, der sie würgt, um sie aus dem Leib zu reißen, und sie mit seinem Pesthauch erstickt. Das ist der Unterschied zwischen einem Menschen, der ins andere Leben hinübergeht, nachdem er sich in diesem von Liebe, Glauben, Hoffnung und jeder anderen Tugend, von der himmlischen Lehre und dem Brot der Engel genährt hat, dessen Früchte, oder besser noch, dessen wirkliche Gegenwart ihn auch auf der letzten Reise begleitet, und dem Menschen, der nach einem lasterhaften Leben den Tod des Verworfenen stirbt, den die Gnade und das Sakrament nicht trösten. Ersteres ist das sanfte Ende des Heiligen, dem der Tod das ewige Reich öffnet. Das andere ist der furchtbare Fall des Verdammten, der sich in den ewigen Tod stürzen sieht und in einem Augenblick erkennt, was er aus eigenem Willen verloren hat, und dass er nun nichts mehr wiedergutmachen kann. Für den einen ein Gewinn, für den anderen ein Verlust. Für den einen Freude, für den anderen Schrecken.

Das ist es, was ihr euch selbst erwerbt, je nachdem, ob ihr meine Gabe liebt und an sie glaubt oder über sie lacht und nicht an sie glaubt. Das ist die Lehre, die ihr aus dieser Betrachtung ziehen sollt.

DIE TODESANGST UND DIE GEFANGENNAHME IN GETHSEMANE

Die Straße ist ruhig und verlassen. Nur das Plätschern eines Brunnens, dessen Wasser sich in ein steinernes Becken ergießt, erfüllt die tiefe Stille. Entlang den Hausmauern auf der Ostseite ist es noch dunkel, während der Mond schon die Dächer auf der anderen Seite aufleuchten läßt; und dort, wo die Straße in einen kleinen Platz mündet, steigt der milchige Silberschein hinunter und verschönt auch die Steine und den Staub der Straße. Aber unter den zahlreichen Gewölben, die ein Haus mit dem anderen verbinden, gleich Zugbrücken oder Streben zwischen diesen alten Häusern mit ihren wenigen Öffnungen zur Straße, die nun alle verschlossen und finster sind, so als wären die Häuser verlassen, ist es vollkommen dunkel. Dort leuchtet die rötliche Fackel Simons besonders lebhaft und ist wohl auch besonders nützlich. In ihrem roten, flackernden Licht zeichnen sich die Gesichter scharf ab, und jedes verrät einen anderen Seelenzustand.

Das feierlichste und ruhigste ist das Gesicht Jesu. Die Müdigkeit macht es älter und gräbt sonst nicht vorhandene Linien darauf ein, die schon das zukünftige Bild seines Antlitzes im Tod erkennen lassen.

Johannes an seiner Seite betrachtet alles mit erstauntem, leidendem Blick. Er gleicht einem durch eine Erzählung oder eine furchterregende Ankündigung verschreckten Kind, dass hilfesuchend nach jemandem Umschau hält, der mehr weiß als er. Aber wer kann ihm schon helfen?

Simon, der auf der anderen Seite Jesu geht, macht ein verschlossenes, düsteres Gesicht und scheint über schrecklichen Gedanken zu brüten. Dabei ist er noch der einzige nach Jesus, der ein würdiges Aussehen hat.

Die anderen, die zwei sich fortwährend verändernde Gruppen bilden, sind ganz Unruhe. Ab und zu erhebt sich die rauhe Stimme des Petrus oder der Bariton des Thomas und erzeugt einen eigenartigen Widerhall. Dann werden sie wieder leise, so als hätten sie Angst vor dem, was sie sagen. Sie diskutieren darüber, was zu tun ist, und schlagen dies und das vor. Doch alle Vorschläge werden verworfen, denn nun beginnt wahrlich die Stunde der Finsternis, und das menschliche Urteil ist verdunkelt und verworren.

«Man hätte es mir vorher sagen sollen», murrt Petrus.

«Aber nicht einer hat etwas gesagt. Weder der Meister...»

«Doch! Gerade er hat es dir gesagt. Aber Bruder! Mir scheint, du kennst ihn immer noch nicht...»

«Ich habe etwas Schlimmes vermutet und gesagt: „Wir wollen mit ihm sterben.“ Erinnert ihr euch? Aber bei unserem allerhöchsten Gott, hätte ich gewußt, dass es Judas des Simon ist...!» donnert Thomas drohend.

«Und was hättest du getan?» fragt Bartholomäus.

«Ich? Ich würde es auch jetzt noch tun, wenn ihr mir helfen würdet!»

«Was? Würdest du gehen und ihn umbringen? Und wohin?»

«Nein. Ich würde den Meister wegbringen. Das wäre leichter.»

«Er würde nicht mitgehen.»

«Ich würde ihn nicht erst fragen, ob er mitkommen will. Ich würde ihn entführen, wie man eine Frau entführt.»

«Das wäre keine schlechte Idee!» sagt Petrus, macht sofort kehrt und geht zur Gruppe der beiden Söhne des Alphäus, die leise wie Verschwörer mit Matthäus und Jakobus tuscheln.

«Hört. Thomas meint, wir sollten Jesus wegbringen. Alle zusammen. Wir könnten... von Gethsemane über Bethphage nach Bethanien, und von dort... irgendwohin. Sollen wir es tun? Wenn er in Sicherheit gebracht ist, kommen wir zurück und rechnen mit Judas ab.»

«Es wäre sinnlos. Israel ist eine einzige Falle», sagt Jakobus des Alphäus.

«Und sie ist dabei, zuzuschnappen. Es war vorauszusehen. Zu viel Haß!»

«Aber Matthäus, du machst mich wütend! Du hattest mehr Mut, als du noch ein Sünder warst! Was meinst du, Philippus?»

Philippus, der ganz allein geht und ein Selbstgespräch zu führen scheint, hebt den Kopf und bleibt stehen. Petrus kommt zu ihm, und sie flüstern miteinander. Dann kehren sie zur ersten Gruppe zurück. «Ich meine, der beste Ort ist immer noch der Tempel», sagt Philippus.

«Bist du von Sinnen?» rufen die Vettern, Matthäus und Jakobus. «Aber die dort wollen ihn doch töten!»

«Ssss... Schreit nicht so. Ich weiß, was ich sage. Sie werden ihn überall suchen. Aber nicht dort. Du und Johannes, ihr habt gute Freunde unter den Dienern des Annas. Wir geben ihnen einen Batzen Geld... und alles ist erledigt. Glaubt mir, der beste Platz, um einen Gesuchten zu verstecken, ist das Haus der Gefangenenwärter.»

«Ich tue es nicht», sagt Jakobus des Zebedäus. «Aber frage auch die anderen. Zuerst Johannes. Und wenn sie ihn dann gefangennehmen? Ich will nicht, dass man sagt, ich sei ein Verräter...»

«Daran habe ich nicht gedacht. Was dann?» Petrus ist am Boden zerstört.

«Ich will euch sagen, was wir aus Barmherzigkeit tun sollten. Das einzige, was wir tun können. Die Mutter wegbringen ...» sagt Judas der Alphäus.

«Schon... Aber wer geht zu ihr? Und was sollen wir ihr sagen? Geh du, du bist ein Verwandter.»

«Ich bleibe bei Jesus. Das ist mein Recht. Geh du.»

«Ich? Ich habe mich mit einem Schwert bewaffnet, um wie Eleazar Auaran zu sterben. Ich werde mich durch Legionen hindurchkämpfen, um meinen Jesus zu verteidigen, und rücksichtslos zuschlagen. Wenn dann die Übermacht mich überwältigt, so macht das nichts. Ich werde ihn wenigstens verteidigt haben», erklärt Petrus.

«Bist du wirklich sicher, dass es Iskariot ist?» fragt Philippus Thaddäus.

«Ich bin ganz sicher. Keiner von uns hat das Herz einer Schlange. Nur er... Matthäus, geh du zu Maria und sage ihr...»

«Ich? Sie belügen? Sie an meiner Seite ahnungslos sehen und dann? ... O nein! Ich bin bereit zu sterben, aber nicht, diese Taube zu verraten...»

Die Stimmen verlieren sich in einem Flüstern.

«Hörst du, Meister. Wir lieben dich», sagt Simon.

«Ich weiß es. Aber es braucht nicht solche Worte, damit ich es weiß. Wenn sie auch dem Herzen Christi Frieden schenken, so verletzen sie doch seine Seele.»

«Warum mein Herr? Es sind Worte der Liebe.»

«Ganz menschlicher Liebe. Wahrlich, in diesen drei Jahren habe ich nichts erreicht, denn ihr seid noch mehr Mensch, als ihr es in der ersten Stunde gewesen seid. Heute abend gärt in euch alle schmutzige Hefe. Aber es ist nicht eure Schuld.»

«Rette dich, Jesus!» fleht Johannes.

«Ich rette mich.»

«Ja? Oh! Mein Gott, ich danke dir!» Johannes gleicht einer von der Hitze der Sonne versengten Blume, die sich wieder auf ihrem Stengel aufrichtet. «Ich werde es den anderen sagen. Wohin gehen wir?»

«Ich in den Tod. Ihr zum Glauben.»

«Aber hast du nicht gerade gesagt, dass du dich retten wirst?» Der Lieblingsjünger ist erneut niedergeschlagen.

«Ich werde mich retten. Ja, ich rette mich. Wenn ich dem Vater nicht gehorchen würde, wäre ich verloren. Aber ich gehorche, und daher rette ich mich. Aber weine doch nicht so! Du bist weniger tapfer als die Schüler dieses griechischen Philosophen, von dem ich dir einmal erzählt habe. Sie sind bei ihrem Meister geblieben, der am Schierling gestorben ist, und haben ihn durch ihren mannhaften Schmerz getröstet. Du... du gleichst einem Kind, dass seinen Vater verloren hat.»

«Ist es etwa nicht so? Mehr als den Vater werde ich verlieren! Ich verliere dich ...»

«Du verlierst mich nicht. Denn du wirst mich weiterhin lieben. Nur der ist verloren, der von uns getrennt ist durch das Vergessen auf Erden und durch das Gericht Gottes im Jenseits. Aber wir werden nicht getrennt sein. Niemals! Weder durch das eine noch durch das andere.»

Aber Johannes will keine Vernunft annehmen.

Simon kommt noch näher zu Jesus und vertraut ihm heimlich an: «Meister... ich... ich und Simon Petrus, wir hofften, etwas Gutes zu tun... Aber... du, der du alles weißt, sage mir: In wie vielen Stunden, glaubst du, wird man dich gefangennehmen?»

«Wenn der Mond seinen höchsten Stand erreicht hat.»

Mit einer Geste von Traurigkeit und Ungeduld, um nicht zu sagen Ärger, antwortet Simon: «Dann ist alles umsonst gewesen... Meister, laß mich dir erklären. Du hast Simon Petrus und mich beinahe gescholten, weil wir dich so allein gelassen haben die letzten Tage... Aber wir sind deinetwegen weggewesen... Aus Liebe zu dir. Petrus ist in der Nacht des Montag sehr betrübt über deine Worte zu mir gekommen, hat mich geweckt und gesagt: „Ich und du – denn dir vertraue ich – wir müssen etwas für Jesus tun. Auch Judas hat gesagt, dass er sich darum kümmern wird.“ Ach, warum haben wir es nicht sofort begriffen? Warum hast du uns nichts gesagt? Aber sage mir: Hast du es niemandem gesagt? Wirklich niemandem? Vielleicht weißt du es selbst erst seit einigen Stunden?»

«Ich habe es immer gewußt. Schon bevor er zu den Jüngern gehörte. Und damit sein Verbrechen nicht vollkommen werde, sowohl in göttlicher als auch in menschlicher Hinsicht, habe ich mit allen Mitteln versucht, ihn von mir zu entfernen. Jene, die meinen Tod wollen, sind die Henker Gottes. Dieser mein Jünger und Freund ist auch der Verräter, der Henker des Menschen. Mein erster Henker, denn die Mühe, ihn an meiner Seite, an meinem Tisch ertragen zu müssen, ihn vor euch in Schutz nehmen zu müssen, hat mich schon umgebracht.»

«Und niemand weiß es?»

«Nur Johannes. Ich habe es ihm am Ende des Abendmahls gesagt. Aber was habt ihr getan?»

«Und Lazarus? Weiß Lazarus wirklich nichts? Heute sind wir bei ihm gewesen, denn er ist am frühen Morgen gekommen, hat sein Opfer dargebracht und ist dann, ohne sich auch nur in seinem Palast aufzuhalten oder im Prätorium vorbeizuschauen, wieder fortgegangen. Sonst geht er immer dorthin. Diese Gewohnheit hat er von seinem Vater übernommen... Und Pilatus ist doch in diesen Tagen in der Stadt, dass weißt du...»

«Ja, alle sind da. Rom ist da, dass neue Sion, in der Person des Pilatus. Israel ist da, mit Kaiphas und Herodes. Ganz Israel ist da, denn das Passahfest hat die Kinder dieses Volkes am Fuß des Altares Gottes versammelt... Hast du Gamaliel gesehen?»

«Ja. Warum diese Frage? Ich werde ihn auch morgen wieder sehen...»

«Gamaliel ist heute abend in Bethphage. Ich weiß es. Wenn wir Gethsemane erreicht haben, wirst du zu Gamaliel gehen und ihm sagen: „Bald wirst du das Zeichen erhalten, auf das du seit einundzwanzig Jahren wartest.“ Sonst nichts. Dann kommst du zu den Gefährten zurück.»

«Aber woher weißt du das? Oh, mein Meister, mein armer Meister, du hast nicht einmal den Trost, nicht um die Werke der anderen zu wissen.»

«Du hast recht. Den Trost, nicht zu wissen! Armer Meister! Denn es gibt mehr böse Taten als gute Werke. Aber ich sehe auch die guten Werke und freue mich darüber.»

«Dann weißt du auch, daß...»

«Simon, es ist die Stunde meiner Passion. Um sie vollkommener zu machen, nimmt der Vater das Licht von mir, je näher sie rückt. Bald wird nur noch Finsternis um mich sein und die Betrachtung dessen, was Finsternis ist: alle Sünden der Menschen. Du kannst, ihr könnt dies nicht verstehen. Keiner, mit Ausnahme dessen, der von Gott als besondere Aufgabe dazu berufen wird, wird diese Passion in der großen Passion begreifen; und da der Mensch stofflich ist, auch im Lieben und Betrachten, wird es viele geben, die weinen und leiden wegen der Schläge und Qualen des Erlösers, die aber die geistigen Qualen niemals ermessen können. Und diese, glaubt es mir, ihr, die ihr mich hört, werden die furchtbarsten sein... Sprich nun, Simon. Führe mich die Wege, die deine Freundschaft für mich gegangen ist, denn ich bin arm und geblendet und sehe Gespenster, aber nicht wirkliche Dinge...»

Johannes drückt Jesus an sich und fragt: «Wie? Siehst du deinen Johannes nicht mehr?»

«Ich sehe dich. Aber die Gespenster tauchen aus dem Nebel Satans auf. Visionen des Schreckens und der Schmerzen. Alle sind wir heute abend von diesen Dünsten der Hölle umgeben. In mir versuchen sie, Feigheit, Ungehorsam und Schmerz zu erzeugen. In euch werden sie Enttäuschung und Angst erzeugen. Andere, die weder ängstlich noch verbrecherisch sind, werden sie zu Feiglingen und Verbrechern machen. In anderen, die schon Satan angehören, werden sie übernatürliche Verderbtheit auslösen. Ich sage so, da ihre Vollkommenheit im Bösen alle menschlichen Möglichkeiten übersteigen wird; und eine Vollkommenheit zu erreichen, ist immer etwas Überirdisches. Sprich, Simon.»

«Ja. Seit Dienstag tun wir nichts anderes als herumlaufen, um etwas zu erfahren, vorzubeugen und Hilfe zu suchen.»

«Und was habt ihr erreicht?»

«Nichts. Oder doch nur recht wenig.»

«Und das Wenige wird sich in Nichts auflösen, wenn die Angst die Herzen lähmt.»

«Ich habe mich auch mit Lazarus gestritten... Es ist das erste Mal, dass mir dies passiert... Gestritten, weil es mir schien, dass er teilnahmslos zusieht... Er könnte etwas tun. Er ist ein Freund des Statthalters. Er ist immerhin der Sohn des Theophilus! Aber Lazarus hat alle meine Vorschläge abgelehnt. Ich habe ihn stehengelassen und geschrien: „Ich glaube, der Freund, von dem der Meister spricht, bist du. Ich verabscheue dich!“ Und ich wollte nicht mehr zu ihm zurückkehren... Doch heute morgen hat er mich gerufen und gesagt: „Bist du immer noch der Meinung, dass ich der Verräter bin?“ Ich hatte schon Gamaliel, Joseph und Chuza, Nikodemus und Manaen und endlich deinen Bruder Joseph gesehen... und konnte so etwas nicht mehr glauben. Also sagte ich zu ihm: „Verzeih, Lazarus. Mein Geist ist so verwirrt, mehr als damals, als ich selbst verurteilt war.“ Und so ist es, Meister... Ich bin nicht mehr ich selbst... Aber warum lächelst du?»

«Weil du bestätigst, was ich dir zuvor gesagt habe. Der Nebel Satans umgibt und verwirrt dich. Was hat Lazarus geantwortet?»

«Er hat gesagt: „Ich verstehe dich. Komm heute mit Nikodemus. Ich muss dich sehen.“ Also bin ich zu ihm gegangen, während Simon Petrus zu den Galiläern gegangen ist. Denn dein Bruder – obwohl er von weither gekommen ist – weiß mehr als wir. Er sagt, er habe es zufällig im Gespräch mit einem alten Galiläer erfahren, einem Freund des Alphäus und des Joseph, der in der Nähe des Marktes wohnt.»

«Ah! ... ja... Ein guter Freund des Hauses...»

«Er ist dort, mit Simon und den Frauen. Auch die Familie von Kana ist dort.»

«Ich habe Simon gesehen.»

«Nun, Joseph hat von diesem Freund, der auch mit jemandem im Tempel befreundet ist, der durch Heirat mit ihm verwandt ist, erfahren, dass deine Gefangennahme beschlossen wurde, und er hat dem Petrus gesagt: „Ich war nie mit ihm einverstanden. Aber aus Liebe zu ihm und solange er noch stark war. Nun, da er wie ein Kind die Beute seiner Feinde ist, bin ich, sein Verwandter, der ihn immer geliebt hat, mit ihm. Es ist eine Pflicht des Blutes und des Herzens.“»

Jesus lächelt und sein Antlitz leuchtet einen Augenblick, wie in den Stunden der Freude.

«Und Joseph hat zu Petrus gesagt: „Die Pharisäer von Galiläa sind Vipern, wie alle Pharisäer. Aber in Galiläa gibt es nicht nur Pharisäer. Und hier sind viele Galiläer, die ihn lieben. Wir gehen zu ihnen und fordern sie auf, sich zusammenzuschließen und ihn zu verteidigen. Wir haben nichts als Messer. Aber auch Prügel sind Waffen, wenn man sie zu gebrauchen versteht. Und wenn das römische Militär nicht eingreift, werden wir leicht mit diesem feigen Gesindel, den Häschern des Tempels, fertig.“ Petrus ist mit ihm gegangen. Ich bin indessen mit Nikodemus zu Lazarus gegangen. Wir hatten beschlossen, Lazarus zu überreden, mit uns zu kommen und sein Haus zu öffnen, um in deiner Nähe zu sein. Er aber hat gesagt: „Ich muss Jesus gehorchen und hierbleiben. Und doppelt leiden...“ Ist das wahr?»

«Es ist wahr. Ich habe ihm diesen Befehl gegeben.»

«Aber er hat mir die Schwerter gegeben. Sie gehören ihm. Eines für mich und das andere für Petrus. Auch Chuza wollte mir Schwerter geben. Aber... was sind schon zwei Stück Eisen gegen eine ganze Welt? Chuza kann nicht glauben, dass deine Worte wahr sind. Er schwört, dass er von nichts weiß und dass man am Hof nur daran denkt, dass Fest zu genießen... Eine Prasserei, wie üblich. Deshalb hat er Johanna geraten, sich in eines ihrer Häuser in Judäa zurückzuziehen. Aber Johanna will hierbleiben. Eingeschlossen in ihren Palast, so als ob sie nicht hier wäre. Und sie geht nicht fort. Bei ihr sind Plautina, Anna, Nike und zwei römische Damen aus dem Haus der Claudia. Sie weinen, sie beten und lassen die unschuldigen Kinder beten. Aber jetzt ist es nicht Zeit zu beten. Es ist Zeit, Blut zu vergießen. Ich fühle den „Zeloten“ in mir zum Leben erwachen und brenne darauf, zu töten, um zu rächen...!»

«Simon! Wenn du verflucht sterben solltest, hätte ich dich nicht aus der Trostlosigkeit befreit!» Jesus ist äußerst streng.

«Oh, verzeih, Meister... Verzeih! Ich bin wie betrunken, wie im Delirium.»

«Und Manaen, was sagt er?»

«Manaen sagt, es könne nicht wahr sein, und wenn, dann würde er dir nachfolgen, auch in den Tod.»

«Wie seid ihr eurer selbst alle so sicher! ... Wieviel Stolz ist im Menschen! Und Nikodemus und Joseph? Was wissen sie?»

«Nicht mehr als ich. Vor einiger Zeit hat sich Joseph bei einer Versammlung mit dem Synedrium angelegt, denn er hat sie Mörder genannt, die einen Unschuldigen töten wollen, und hat gesagt: „Hier drinnen ist alles gesetzwidrig.“ Er hat recht: Der Greuel ist im Haus des Herrn. Dieser Altar muss zerstört werden, denn man hat ihn geschändet. Sie haben ihn nicht gesteinigt, weil er Joseph ist. Aber von da an haben sie ihn über alles im dunkeln gelassen. Nur Gamaliel und Nikodemus sind seine Freunde geblieben. Aber ersterer spricht nicht. Und der andere... Weder er noch Joseph sind mehr zu den Versammlungen des Synedriums gerufen worden, in denen es um Entscheidungen ging. Das Synedrium versammelt sich entgegen der Vorschrift da und dort, zu verschiedenen Stunden, aus Angst vor ihnen und vor Rom. Ach! ... Beinahe hätte ich es vergessen... Die Hirten. Auch sie sind bei den Galiläern. Aber wir sind nur wenige! Wenn Lazarus auf uns gehört hätte und zum Prätor gegangen wäre! Aber er wollte nicht auf uns hören... Dies haben wir getan... Viel... und nichts... Und ich bin so niedergeschlagen, dass ich in die Felder laufen und wie ein Schakal heulen möchte, dass ich mich in einer Orgie betäuben und wie ein Räuber töten möchte, nur um von dem Gedanken loszukommen, dass alles „nutzlos“ ist, wie Lazarus gesagt hat, wie auch Joseph und Chuza und Manaen und Gamaliel gesagt haben ...» Der Zelote scheint nicht mehr er selbst zu sein.

«Was hat der Rabbi gesagt?»

«Er hat gesagt: „Ich kenne die Absichten des Kaiphas nicht genau. Aber ich sage euch, nur für den Christus ist prophezeit, was ihr sagt. Und da ich diesen Propheten nicht für den Christus halte, finde ich, dass kein Grund zur Aufregung besteht. Ein Mensch wird getötet werden. Ein guter Mensch. Ein Freund Gottes. Aber von wie vielen seinesgleichen hat Sion nicht schon das Blut getrunken?!“ Und da wir auf deiner göttlichen Natur bestanden, hat er hartnäckig wiederholt: „Wenn ich das Zeichen sehe, werde ich glauben.“ Er hat versprochen, dass er an der Abstimmung über dein Todesurteil nicht teilnehmen wird und vielmehr, wenn möglich, versuchen wird, die anderen zu überzeugen, dich nicht zu verurteilen. Das ist alles. Er glaubt nicht! Er glaubt nicht! Wenn wir nur bis morgen Zeit hätten... Aber du sagst nein. Oh, was werden wir tun?»

«Du wirst zu Lazarus gehen und versuchen, so viele als möglich mitzunehmen. Nicht nur die Apostel. Auch die auf den Feldwegen herumirrenden Jünger. Versuche, die Hirten zu treffen, und bringe ihnen diese Anordnung. Das Haus von Bethanien ist mehr denn je das Haus von Bethanien: das Haus der guten Gastlichkeit. Wer nicht den Mut hat, dem Haß eines ganzen Volkes zu begegnen, soll sich dorthin zurückziehen. Und warten...»

«Aber wir werden dich nicht verlassen.»

«Trennt euch nicht... Getrennt würdet ihr ein Nichts sein. Vereint seid ihr immer noch eine Kraft. Simon, versprich mir dies. Du bist ruhig und verläßlich, und auch Petrus hört auf dein Wort. Du schuldest mir sehr viel. Ich erinnere dich zum ersten Mal daran, um dich zum Gehorsam zu verpflichten. Schau, wir sind am Kedron. Von dort bist du als Aussätziger zu mir gekommen, und rein hast du diesen Ort verlassen. Um dessentwillen, was ich für dich getan habe, gib mir. Gib dem Menschen, was ich dem Menschen gegeben habe. Nun bin ich der Aussätzige...»

«Nein! Sage so etwas nicht!» stöhnen die beiden Jünger gleichzeitig.

«So ist es! Petrus, meine Brüder werden sich am schlimmsten fühlen. Wie ein Verbrecher wird sich mein ehrlicher Petrus fühlen und keinen Frieden finden. Und die Brüder... sie werden nicht das Herz haben, zu ihrer und meiner Mutter aufzuschauen... Ich empfehle sie dir...»

«Und ich, Herr? Wer wird sich meiner annehmen? An mich denkst du nicht?»

«0 mein Junge! Du bist deiner Liebe anvertraut. Sie ist stark und wird dich wie eine Mutter leiten. Ich gebe dir weder Befehl noch Führer. Ich lasse dich auf den Wassern der Liebe, dem starken und tiefen Strom in dir, der keine Zweifel an deinem Morgen gestattet. Simon, hast du gehört? Versprich mir, versprich mir!» Es ist schmerzlich, Jesus so angstvoll zu sehen... Er fährt fort: «Bevor die anderen kommen! Oh! Danke! Sei gesegnet.»

Die ganze Gruppe ist nun beisammen.

«Wir wollen uns nun trennen. Ich gehe hinauf und bete. Petrus, Johannes und Jakobus nehme ich mit. Ihr bleibt hier. Wenn man euch Gewalt antut, ruft. Habt keine Angst. Es wird euch kein Haar gekrümmt werden. Betet für mich. Legt Haß und Angst ab. Es wird nur ein Augenblick sein... und dann wird die Freude vollkommen sein. Lächelt, damit ich euer Lächeln im Herzen habe. Und noch einmal Dank für alles, Freunde. Lebt wohl. Der Herr möge euch nicht verlassen...»

Jesus trennt sich von den Aposteln und geht voraus, während Petrus sich von Simon die Fackel geben läßt, nachdem dieser harzige Reiser an ihr entzündet hat, die nun prasselnd am Rand des Olivenhaines brennen und den Duft von Wacholder verbreiten.

Thaddäus tut mir leid. Er schaut Jesus mit so eindringlichen, schmerzerfüllten Blicken nach, dass dieser sich umdreht um zu sehen, wer ihn anschaut. Doch Thaddäus verbirgt sich hinter Bartholomäus und beißt sich auf die Lippen, um sich zu beherrschen.

Jesus macht eine Handbewegung zwischen Segen und Gruß und geht dann weiter. Das Licht des nun schon hoch am Himmel stehenden Mondes fließt um seine hohe Gestalt und läßt sie noch größer, vergeistigter erscheinen; das Rot des Kleides ist heller und das Gold der Haare bleicher. Hinter Jesus beschleunigen Petrus mit der Fackel und die beiden Söhne des Zebedäus ihre Schritte.

Sie gehen bis an den ersten steilen Hang des Amphitheaters, dass der Ölgarten bildet. Man betritt es über einen kleinen, unregelmäßigen Platz, von dem aus die Hänge in Stufen voller Ölbäume bis zum höchsten Punkt des Berges aufsteigen. Jesus sagt: «Bleibt hier und wartet auf mich, während ich bete. Aber schlaft nicht. Ich könnte euch brauchen. Und ich bitte euch von ganzem Herzen: betet! Euer Meister ist sehr betrübt.»

Er ist wahrhaft von tiefster Mattigkeit gezeichnet. Eine schwere Last scheint ihn zu Boden zu drücken. Wo ist der männliche Jesus, der zu den Massen sprach, der schöne, starke Jesus mit dem Blick eines Herrschers, dem friedvollen Lächeln und der wohlklingenden, schönen Stimme? Er scheint keuchend zu atmen wie einer, der rasch gelaufen ist oder geweint hat. Seine Stimme ist müde und bekümmert. Er ist traurig, traurig, so traurig...

Petrus antwortet für alle: «Sei beruhigt, Meister. Wir werden wachen und beten. Du brauchst uns nur zu rufen, und wir kommen.»

Jesus verläßt sie, während die drei sich bücken, um Laub und Reiser zu sammeln und damit ein Feuerchen zu machen, dass sie wachhalten und auch vor der Feuchtigkeit schützen soll, denn der Tau fällt schon reichlich.

Er läßt sie zurück und geht in östlicher Richtung weiter. Der Mond scheint ihm ins Gesicht. Ich sehe, dass sich seine Augen durch den großen Schmerz noch geweitet haben; vielleicht sind es auch von der Müdigkeit herrührende dunkle Ringe, die sie vergrößern, oder der Schatten der Brauen. Ich weiß es nicht. Ich sehe nur, dass seine Augen weiter offen sind und tiefer liegen. Er steigt hinauf mit geneigtem Haupt, nur hie und da erhebt er es mit einem Seufzer, als hätte er Mühe und müßte um Atem ringen. Dann schweift sein so trauriger Blick über den friedlichen Olivenhain. Er steigt noch einige Meter höher und geht dann um eine Stufe herum, die somit zwischen ihm und den drei weiter unten liegt.

Die zuerst nur wenige Zentimeter hohe Stufe steigt an und ist schon bald über zwei Meter hoch, so dass Jesus völlig vor allen mehr oder weniger diskreten und freundschaftlichen Blicken verborgen ist. Jesus geht bis zu einem großen Steinblock, der an einer Stelle den Pfad versperrt. Vielleicht hat man ihn dort als Stütze für den Hang angebracht, der nach unten baumlos und noch steiler abfällt zu einer öden Stelle vor den Mauern Jerusalems, und nach oben in Stufen mit Ölbäumen weiter aufsteigt. Genau oberhalb dieses Blocks wächst ein knorriger, krummer Ölbaum – er gleicht einem bizarren Fragezeichen, dass die Natur hierhergesetzt hat in der Frage nach irgendeinem Warum. Die dichten Zweige des Wipfels geben der Frage seines Stammes eine Antwort, sagen «ja», wenn sie sich zur Erde neigen, und «nein», wenn sie sich nach rechts und links bewegen im leichten Wind, der immer wieder durch die Blätter weht und einmal nur nach Erde riecht, ein anderes Mal den etwas bitteren Geruch der Ölbäume und dann wieder den Duft von Rosen und Maiglöckchen bringt, von dem ich nicht weiß, woher er kommen könnte. Jenseits des Pfades, weiter unten, stehen noch mehr Ölbäume. Und einer, genau unterhalb des Felsblocks – ein Blitz muss ihn gespalten haben, und doch hat er überlebt, oder er ist aus sonst einem Grund auseinandergebrochen – wächst nun statt mit seinem ursprünglichen Stamm mit zwei Stämmen weiter, wie die zwei Hälften eines V in Blockschrift. Und die beiden Wipfel erheben sich nun zu beiden Seiten des Felsens, so als ob sie zusehen und gleichzeitig wachen wollten, oder als ob sie diesem Fels als friedfertige, silbergraue Unterlagen dienen wollten.

Dort bleibt Jesus stehen. Er sieht die Stadt nicht an, die im Mondlicht unten leuchtet. Er kehrt ihr vielmehr den Rücken und betet mit zum Kreuz geöffneten Armen und zum Himmel erhobenem Antlitz. Ich sehe sein Gesicht nicht, denn es ist im Schatten. Und wenn auch der Mond gerade über ihm steht, so dringt doch nur wenig Licht durch das dichte Laub eines Ölbaumes zwischen ihm und dem Mond, und die durch die Blätter gefilterten Strahlen zeichnen sich ständig verändernde Punkte und Striche. Ein langes, inbrünstiges Gebet. Ab und zu höre ich einen Seufzer oder ein deutlicheres Wort. Es ist kein Psalm und auch kein Vaterunser. Es ist ein Gebet, dass seiner Liebe und seiner Not entspringt. Eine wahre Ansprache an seinen Vater.

Ich erkenne dies aus den wenigen Worten, die ich verstehe: «Du weißt es... Ich bin dein Sohn... Alles, doch hilf mir... Die Stunde ist gekommen ... Ich gehöre nicht mehr der Welt. Dein Wort braucht keine Hilfe mehr ... Gib, dass der Mensch dich als Erlöser zufriedenstellt, so wie das Wort dir gehorsam gewesen ist... Dein Wille geschehe... Für sie bitte ich um Erbarmen... Werde ich sie retten? Darum bitte ich dich. Ich möchte, dass sie vor der Welt, dem Fleisch und Satan gerettet werden... Darf ich noch bitten? Es ist eine gerechte Bitte, mein Vater. Nicht für mich. Für den Menschen, der dein Geschöpf ist und der sogar auch seine Seele in Schmutz verwandeln wollte. Ich nehme diesen Schmutz in mein Leiden und in mein Blut, damit das unverderbliche Wesen des Geistes wieder zu deinem Wohlgefallen erstrahle... Er ist überall. Er ist heute abend König. Im Palast und in den Häusern. Bei den Soldaten und im Tempel... Die Stadt ist in seiner Gewalt und wird morgen eine Hölle sein ...»

Jesus wendet sich um, lehnt sich mit dem Rücken an den Stein und kreuzt die Arme. Er betrachtet Jerusalem. Das Antlitz Jesu wird immer trauriger. Er flüstert: «Es gleicht dem Schnee... und ist ganz Sünde. Wie viele habe ich auch dort geheilt! Wieviel habe ich gesprochen! ... Wo sind sie nun, die mir treu zu sein schienen ...?»

Jesus neigt das Haupt und starrt auf den mit kurzem, tauglänzendem Gras bewachsenen Boden. Obwohl er sein Haupt gesenkt hält, verstehe ich, dass er weint, denn leuchtende Tropfen fallen von seinem Gesicht zur Erde. Dann erhebt er das Haupt, löst die Arme, faltet die Hände über dem Haupt und ringt sie so.

Schließlich kehrt er zu den drei Aposteln zurück, die um ihr Reisigfeuerchen sitzen. Und findet sie halb schlafend. Petrus lehnt an einem Baumstamm mit über der Brust verschränkten Armen und läßt vom Schlaf überwältigt immer wieder den Kopf sinken. Jakobus und sein Bruder sitzen auf einer vorstehenden Wurzel. Um die Knoten nicht zu sehr zu spüren, haben sie ihre Mäntel daraufgelegt und sind – obgleich sie es noch weniger bequem als Petrus haben – schon fast eingeschlummert. Jakobus hat seinen Kopf auf die Schulter des Johannes gelegt und dieser lehnt den Kopf an die Schulter des Jakobus. Es sieht aus, als seien sie im Halbschlaf in dieser Haltung erstarrt.

«Schlaft ihr? Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen? Ich habe euren Trost und eure Gebete so nötig.»

Die drei springen verwirrt auf. Sie reiben sich die Augen, murmeln eine Entschuldigung und führen ihre Schläfrigkeit hauptsächlich auf die Mahlzeit zurück: «Es ist der Wein... das Essen... Aber nun ist es vorbei. Es war nur ein Augenblick. Wir hatten keine Lust zu reden, und so sind wir eingeschlafen. Doch nun werden wir laut beten, damit das nicht mehr passiert.»

«Ja, betet und wacht. Auch für euch selbst habt ihr es nötig.»

«Ja, Meister, wir werden dir gehorchen.»

Jesus entfernt sich wieder. Der Mond scheint ihm ins Gesicht, und sein silbernes Licht ist so hell, dass das rote Gewand immer blasser wirkt, so als wäre es von weißem, leuchtendem Staub bedeckt. Der Mond läßt mich sein trauriges, schmerzerfülltes, gealtertes Antlitz erkennen. Die Augen sind immer noch weit offen, aber sie scheinen jetzt getrübt. Um den Mund legt sich eine müde Falte.

Er kehrt zu seinem Stein zurück, langsamer und gebeugter. Er kniet nieder und stützt seine Arme auf den Fels, der nicht ganz glatt ist, sondern auf halber Höhe eine Art Sims hat, fast als hätte man ihn absichtlich so geformt. Und auf diesem kleinen Sims ist ein Pflänzchen gewachsen. Es scheinen mir die kleinen, Lilien ähnlichen Blümchen zu sein, die ich auch in Italien schon gesehen habe, mit winzigen runden, am Rand gezackten fleischigen Blättchen und ebenso winzigen Blüten an den hauchfeinen Stielen. Sie gleichen über das Grau des Felsens und das Dunkelgrün der Blättchen gestreuten Schneeflöckchen. Jesus stützt seine Hände neben ihnen auf, und die Blümchen liebkosen seine Wange, denn er legt den Kopf auf die zum Gebet gefalteten Hände. Nach einer Weile fühlt er die Kühle der kleinen Blüten und hebt das Haupt. Er sieht sie an, streichelt sie, spricht zu ihnen: «Ihr seid rein! ... Ihr tröstet mich! Auch in der Grotte meiner Mutter gab es solche Blümchen... und meine Mutter liebte sie, denn sie sagte: „Als ich klein war, sagte mein Vater: 'Du bist so eine kleine Lilie und voll vom Tau des Himmels .... ..» Die Mama! Oh, meine Mama!» Jesus bricht in Tränen aus. Den Kopf auf den gefalteten Händen und auf die Fersen zurückgesunken, höre und sehe ich ihn weinen und die Hände ringen. Ein Finger quält den anderen. Ich höre, wie er sagt: «Auch in Bethlehem... und ich habe sie dir gebracht, Mama. Aber diese hier, wer wird sie dir bringen ...?»

Dann betet und betrachtet er wieder. Seine Betrachtung muss sehr traurig sein, mehr angsterfüllt als traurig, denn um ihr zu entfliehen, steht er auf, geht vorwärts und rückwärts und murmelt Worte, die ich nicht verstehe, erhebt das Antlitz, senkt es wieder, macht verschiedene Gesten und fährt sich mit mechanischen, aufgeregten Bewegungen mit den Händen über Augen, Wangen und Haar, wie einer, der in großer Angst ist. Dies zu sagen ist nichts. Es ist unmöglich, es zu beschreiben. Es sehen heißt, seine Angst mitfühlen.

Er macht eine Geste in Richtung Jerusalem. Dann erhebt er wieder die Arme zum Himmel, wie um von dort Hilfe zu erbitten. Er legt den Mantel ab, als ob er ihm zu warm wäre, und schaut ihn an... Aber was sieht er? Seine Augen sehen nichts als seine Qual, und alles wird ihm zur Qual und vermehrt sie noch. Auch der von der Mutter gewebte Mantel. Er küßt ihn und sagt: «Verzeihung, Mama, Verzeihung!» Es scheint, als bitte er das von der Mutterliebe gesponnene und gewebte Tuch um Verzeihung... Er legt den Mantel wieder an. Der Schmerz zerreißt ihm das Herz. Er will beten, um ihn zu überwinden. Aber mit dem Gebet kehren die Erinnerungen, die Ängste, die Zweifel, dass Bedauern wieder... Eine Lawine von Namen... Städten... Personen... Ereignissen... Ich kann nicht folgen, denn es geht zu rasch und sprunghaft. Es ist sein ganzes evangelisches Leben, dass an ihm vorüberzieht... und ihm Judas, den Verräter, zeigt. Sein Schmerz ist so groß, dass er, um ihn zu beherrschen, die Namen Petrus und Johannes hinausschreit. Und er sagt – «Nun werden sie kommen. Sie sind treu!»Aber «sie» kommen nicht. Er ruft noch einmal und scheint so entsetzt, als ob er Gott weiß was sähe. Dann flieht er zu der Stelle, an der er Petrus und die beiden Brüder gelassen hat. Er findet sie in bequemerer Stellung und in tiefem Schlaf an der schwachen Glut, die am Erlöschen ist und nur noch da und dort unter der grauen Asche glimmt.

«Petrus! Schon dreimal habe ich euch gerufen! Was tut ihr? Ihr schlaft wieder? Fühlt ihr denn nicht, wie sehr ich leide? Betet, damit das Fleisch nicht siegt, euch nicht besiegt. Keinen von euch. Der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch ist schwach. Helft mir ...»

Die drei wachen nur langsam auf. Doch endlich kommen sie zu sich und entschuldigen sich mit noch ganz verschlafenen Augen. Sie richten sich auf und setzen sich zuerst. Dann stehen sie auf.

«Also nein!», murmelt Petrus, «das ist uns noch nie passiert! Es muss der Wein gewesen sein. Er war stark. Und dann diese Kühle. Wir haben uns zugedeckt, um nicht zu frieren (sie hatten sich tatsächlich die Mäntel über die Köpfe gezogen); und so haben wir das Feuer nicht mehr gesehen und die Kälte nicht mehr gefühlt, und der Schlaf hat uns übermannt. Du sagst, dass du uns gerufen hast? Und doch habe ich nicht geglaubt, so tief zu schlafen... Auf, Johannes, gehen wir Zweige suchen, bewegen wir uns, damit der Schlaf vergeht. Sei versichert, Meister, von jetzt an! ... Wir bleiben auf den Füßen ...» und er wirft eine Handvoll trockene Blätter auf die Asche und bläst, bis die Flammen wieder aufflackern. Dann legt er Brombeergestrüpp darauf, dass Johannes herbeibringt, während Jakobus einen großen Wacholderzweig oder etwas Ähnliches aus dem nahen Gebüsch schlägt und zum übrigen wirft.

Die Flammen flackern hoch und fröhlich auf und beleuchten das arme Antlitz Jesu. Ein so unendlich trauriges Antlitz, dass man es nicht ansehen kann, ohne zu weinen. Jeglicher Glanz ist aus diesem Antlitz gewichen in der tödlichen Ermattung. Jesus sagt: «Ich leide Qualen, die mich umbringen. O ja! Meine Seele ist betrübt bis in den Tod. Freunde! ... Freunde! Freunde!» Aber selbst wenn er dies nicht sagen würde, könnte man an seinem Aussehen erkennen, dass er wirklich einem Sterbenden, einem in furchtbarer und trostloser Verlassenheit Sterbenden ähnlich ist. Jedes Wort scheint ein Aufschluchzen zu sein...

Aber die drei sind zu müde. Fast wie Betrunkene wanken sie mit halbgeschlossenen Augen umher... Jesus schaut sie an... Er demütigt sie nicht durch Tadel. Er schüttelt nur das Haupt, seufzt und kehrt an die vorige Stelle zurück.

Er betet wieder stehend, mit zum Kreuz ausgebreiteten Armen. Dann kniet er nieder wie zuvor, neigt das Gesicht über die kleinen Blümchen, denkt... schweigt. Dann beginnt er laut zu seufzen und zu schluchzen. Fast liegt er am Boden, so weit neigt er sich zurück, und ruft den Vater. Immer flehender, immer angstvoller...

«Oh!» sagt er. «Zu bitter ist dieser Kelch! Ich kann nicht! Ich kann nicht! Es geht über meine Kräfte. Alles konnte ich! Aber dies nicht ... Nimm ihn von mir, Vater, von deinem Sohn! Erbarme dich meiner! ... Was habe ich getan? Womit habe ich dies verdient?» Dann beruhigt er sich und sagt: «Mein Vater, höre nicht auf meine Worte, wenn sie erbitten, was gegen deinen Willen ist. Denke nicht daran, dass ich dein Sohn bin, sondern nur daran, dass ich dein Diener bin. Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.»

Einige Zeit bleibt er so. Dann stößt er einen gedämpften Schrei aus und erhebt sein von Schmerz zerwühltes Gesicht. Nur einen Augenblick, dann fällt er zu Boden, dass Gesicht zur Erde, und bleibt so liegen. Ein Bild des Elends, der Mensch, auf dem die Sünden der ganzen Welt lasten, den die ganze Gerechtigkeit des Vaters trifft, auf den sich die Finsternis herabsenkt, die Trostlosigkeit, die Bitterkeit, und das Furchtbare, Furchtbare, Allerfurchtbarste, dass Verlassensein von Gott, während Satan quält... Es ist das Ersticken der Seele, dass lebendig Begrabensein in diesem Kerker, der die Welt ist, wenn man die Verbindung zwischen Gott und uns nicht mehr fühlt. Man fühlt sich in Ketten, geknebelt, gesteinigt sogar von den eigenen Gebeten, die scharf und sengend auf uns zurückfallen. Man stößt an den verschlossenen Himmel, den weder die Stimme noch die Blicke unserer Angst durchdringen, man fühlt sich als «Waise» Gottes. Es ist Wahnsinn, Todesangst, der Zweifel, sich bisher getäuscht zu haben, es ist die Überzeugung, von Gott verworfen zu sein, verdammt zu sein. Es ist die Hölle! ...

Oh, ich weiß! Ich kann die Ängste und Schmerzen meines Christus nicht mitansehen, ich kann es nicht, da ich doch weiß, dass sie millionenfach schrecklicher sind als jene, die ich letztes Jahr empfunden habe. Die Erinnerung daran erschüttert mich jedesmal.

Jesus stöhnt unter Röcheln und Todesseufzern: «Nichts! ... Nichts! ... Fort! ... Der Wille des Vaters! Dieser! Nur dieser allein! ... Dein Wille, Vater, dein Wille, nicht meiner... Es ist nutzlos! Ich habe nur einen Herrn: den allerheiligsten Gott. Nur ein Gesetz: den Gehorsam. Nur eine Liebe: die Erlösung... Nein. Ich habe keine Mutter mehr. Ich habe kein Leben mehr. Ich habe keine Göttlichkeit mehr. Ich habe keine Aufgabe mehr. Vergeblich versuchst du mich, Dämon, mit der Mutter, mit dem Leben, mit meiner Göttlichkeit und meiner Mission. Meine Mutter ist die Menschheit, und ich liebe sie so sehr, dass ich für sie sterben werde. Das Leben gebe ich dem zurück, der es mir gegeben hat und es nun von mir verlangt, dem höchsten Herrn alles Lebenden. Die Göttlichkeit bestätige ich, da ich zu dieser Sühne fähig bin. Die Mission vollende ich durch meinen Tod. Nichts habe ich mehr. Ich kann nur noch den Willen des Herrn, meines Gottes, tun. Weiche Satan! Ich habe es das erste und das zweite Mal gesagt. Ich sage es zum dritten Mal: „Vater, wenn es möglich ist, laß diesen Kelch an mir vorübergehen. Doch nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.“ Weiche, Satan! Ich gehöre Gott!»

Dann sagt er nur noch keuchend: «Gott! Gott! Gott!» Bei jedem Schlag seines Herzens ruft er ihn, und es scheint, als quelle bei jedem dieser Schläge Blut hervor. Der über den Schultern gespannte Stoff seines Gewandes wird naß und ist nun wieder dunkel, trotz des Mondes, der alles in sein helles Licht taucht.

Da erscheint eine noch größere Helligkeit über seinem Haupt, etwa einen Meter über ihm, eine so lebhafte Helligkeit, dass auch der Darniederliegende sie durch die Wellen seines schon blutgetränkten Haares und durch den Schleier des Blutes vor seinen Augen bemerkt. Er hebt den Kopf... Der Mond beleuchtet sein armes Antlitz, und stärker noch leuchtet das dem bläulichen Diamanten, der Venus ähnliche Licht des Engels. Und nun erkennt man die ganze furchtbare Todesangst an dem Blut, dass aus allen Poren dringt. Brauen, Haar, Bart sind voll Blut, getränkt von Blut. Blut fließt von den Schläfen, Blut dringt aus den Adern am Hals, Blut tropft von den Händen, und als er die Hände dem Engelslicht entgegenstreckt und die weiten Ärmel bis zum Ellenbogen zurückgleiten, sind auch die Unterarme Christi voll Blut. In seinem Gesicht hinterlassen die Tränen zwei helle Bahnen auf der roten Maske.

Jesus legt den Mantel ab und trocknet Hände, Antlitz, Hals und Arme. Aber er fährt fort, Blut zu schwitzen. Immer wieder drückt er das Tuch auf sein Antlitz, hält es eine Weile darauf, und jedesmal, wenn er eine andere Stelle nimmt, sieht man deutlich die Spuren auf dem dunkelroten Stoff, denn da sie naß sind, erscheinen sie schwarz. Das Gras am Boden ist von Blut gerötet.

Jesus ist einer Ohnmacht nahe. Er öffnet das Gewand am Hals, als wäre er am Ersticken. Er führt die Hand zum Herzen und dann zum Haupt und bewegt sie vor seinem Antlitz, als wolle er sich Luft zufächeln; sein Mund ist leicht geöffnet. Er kriecht zu dem Fels, mehr dem Rand des Hanges zu, und lehnt sich mit dem Rücken an den Stein. Seine Arme hängen herunter, und das Haupt hängt auf die Brust, fast als wäre er schon tot. Er rührt sich nicht mehr.

Das Licht des Engels nimmt ganz langsam ab. Dann scheint es sich im Mondschein aufzulösen. Jesus öffnet die Augen wieder. Mit Mühe hebt er das Haupt und blickt um sich. Er ist allein. Aber er leidet jetzt weniger.

Er streckt eine Hand aus, zieht den Mantel an sich, der im Gras liegengeblieben ist, und trocknet sich wieder das Antlitz, die Hände, den Hals, den Bart und die Haare. Er nimmt ein großes, ganz taunasses Blatt, dass gerade dort am Rand des Hanges wächst, säubert sich damit, wäscht sich Gesicht und Hände und trocknet sie. Das wiederholt er mehrmals mit anderen Blättern, bis alle Spuren seines furchtbaren Schweißes getilgt sind. Nur das Gewand ist noch befleckt, besonders an den Schultern, in den Beugen der Ellbogen, am Hals, am Gürtel und an den Knien. Er betrachtet es und schüttelt den Kopf. Dann schaut er auch den Mantel an und da er sieht, dass er zu sehr befleckt ist, faltet er ihn und legt ihn auf den Stein, dort auf den Sims, neben die Blümchen.

In seiner Schwäche dreht er sich mit Mühe um, kniet nieder und betet, dass Haupt auf den Mantel gelegt, auf dem bereits die Hände ruhen. Dann stützt er sich auf den Stein und steht auf. Leicht wankend begibt er sich zu den Jüngern. Sein Antlitz ist totenbleich, aber nicht mehr verstört. Es ist ein Antlitz voll göttlicher Schönheit, obwohl blutleer und trauriger denn je.

Die drei schlafen tief. Ganz in ihre Mäntel gehüllt, haben sie sich an dem erloschenen Feuer ausgestreckt, und man hört sie tief atmen und beinahe schon laut schnarchen. Jesus ruft sie. Vergebens. Er muss sich bücken und Petrus kräftig schütteln.

«Was gibt es? Wer will mich gefangennehmen?» sagt dieser und schlägt verwirrt und erschrocken seinen dunkelgrünen Mantel zurück.

«Niemand. Ich bin es, der dich ruft.»

«Ist es schon Tag?»

«Nein, die zweite Nachtwache ist fast zu Ende.»

Petrus ist ganz benommen, Jesus schüttelt Johannes, der einen Schreckensschrei ausstößt, da er über sich das Antlitz eines Gespenstes zu sehen glaubt, so marmorweiß ist Jesus. «Oh! Du siehst wie ein Toter aus.»

Er schüttelt Jakobus und dieser, der glaubt, sein Bruder würde ihn rufen, sagt: «Haben sie den Meister gefangengenommen?»

«Noch nicht, Jakobus», antwortet Jesus. «Aber steht nun auf, und gehen wir. Mein Verräter naht.»

Die drei, noch ganz verwirrt, erheben sich. Sie schauen um sich... Ölbäume, Mond, Nachtigallen, ein leichter Wind, Friede... sonst nichts. Doch sie folgen Jesus, ohne ein Wort zu sagen. Auch die anderen acht sind um das erloschene Feuer herum mehr oder weniger eingeschlafen.

«Steht auf!» ruft Jesus laut. «Während Satan kommt, zeigt dem Schlaflosen und seinen Söhnen, dass die Kinder Gottes nicht schlafen.»

«Ja, Meister.»

«Wo ist er, Meister?»

«Jesus, ich ...“

«Aber was ist denn los?»

Zwischen sich überstürzenden Fragen und Antworten legen sie ihre Mäntel an...

Gerade noch rechtzeitig, um ordentlich vor der bewaffneten Bande zu erscheinen, die von Judas angeführt den friedlichen Platz überschwemmt und ihn mit vielen brennenden Fackeln grell erleuchtet. Eine Horde als Soldaten verkleideter Banditen, in teuflischem Grinsen verzerrte Galgengesichter. Auch der eine oder andere Kämpe vom Tempel ist dabei.

Die Apostel springen alle in einen Winkel. Petrus vorne, die anderen in einer Gruppe hinter ihm. Jesus bleibt, wo er ist.

Judas nähert sich ihm und hält seinem Blick stand, der nun wieder strahlend ist wie in den besten Tagen. Doch Judas senkt den Kopf nicht. Er geht vielmehr mit dem Grinsen einer Hyäne auf Jesus zu und küßt ihn auf die rechte Wange.

«Freund, wozu bist du gekommen? Mit einem Kuß verrätst du mich?»

Judas senkt einen Moment den Kopf, dann hebt er ihn wieder... Er ist nun taub gegenüber jedem Vorwurf und jeder Aufforderung zur Reue.

Nach den ersten Worten, die er noch mit der Würde des Meisters gesprochen hat, erkennt man am traurigen Ton der Stimme Jesu, dass er sich in sein Schicksal ergeben hat.

Die Häscherbande nähert sich schreiend mit Stricken und Stöcken und versucht, sich Jesu und auch der Apostel zu bemächtigen; natürlich mit Ausnahme des Judas Iskariot.

«Wen sucht ihr?» fragt Jesus ruhig und feierlich.

«Jesus von Nazareth.»

«Ich bin es.» Die Stimme gleicht dem Donner. Vor der mörderischen und vor der unschuldigen Welt, vor der Natur und vor den Sternen legt Jesus von sich selbst Zeugnis ab, offen, ehrlich und sicher; ich würde sagen, er freut sich sogar, es tun zu können.

Wäre ein Blitz von ihm ausgegangen, er hätte nicht mehr bewirkt. Wie eine Garbe gemähter Halme fallen alle zu Boden. Stehen bleiben nur Judas, Jesus und die Apostel, die angesichts der niedergeworfenen Soldaten wieder Mut fassen. So sehr, dass sie sich Jesus nähern und Drohungen ausstoßen, die so deutlich Judas gelten, dass dieser einen Sprung zur Seite macht, gerade noch rechtzeitig, um dem gekonnten Schwertstreich des Simon auszuweichen. Die übrigen Apostel, die keine Schwerter haben, werfen ihm Steine und Prügel nach, aber vergeblich. Und Judas flieht über den Kedron und verschwindet auf einem Feldweg in der Dunkelheit.

«Steht auf. Wen sucht ihr? Ich frage euch noch einmal.»

«Jesus von Nazareth.»

«Ich habe euch gesagt, dass ich es bin», sagt Jesus sanft. «Laßt diese also gehen. Ich komme mit euch. Legt die Schwerter und die Prügel weg. Ich bin kein Räuber. Ich bin immer unter euch gewesen. Warum habt ihr mich damals nicht festgenommen? Aber dies ist eure Stunde und die Stunde Satans ...»

Doch während Jesus spricht, nähert sich Petrus dem Mann, der schon die Stricke vorbereitet, um den Meister zu fesseln, und schlägt ungeschickt mit dem Schwert auf ihn ein. Hätte er mit der Spitze zugestoßen, hätte er ihn wie einen Hammel abgestochen. So aber schlägt er ihm nur das Ohr fast ganz ab, dass nun stark blutend herunterhängt. Der Mann schreit, als wäre er tödlich verletzt. Ein großer Tumult entsteht, denn die einen wollen vorwärtsstürzen und die anderen bekommen Angst, als sie Schwerter und Dolche blitzen sehen.

«Steckt die Waffen in die Scheide. Ich befehle es. Wenn ich wollte, würden die Engel des Vaters mich verteidigen. Und du, sei heil. Zuerst an der Seele, wenn du kannst.» Und bevor Jesus seine Hände fesseln läßt, berührt er das Ohr und heilt es.

Die Apostel schreien unerhörte Dinge... Ja, ich bedauere, es sagen zu müssen, aber es ist so. Der eine schreit dies, der andere das. Einer ruft: «Du hast uns verraten!» Einer: «Aber er ist verrückt!» und einer schreit: «Wer kann dir noch glauben?» Wer nicht schreit, flieht...

Und Jesus bleibt allein... Er und die Schergen... Und der Weg beginnt...